Die einzelnen Prozesse der Globalisierung
Globalisierung an sich bedeutet bereits einen Prozess – am weitesten gefasst den, nationale und territoriale Grenzen unserer heutigen Welt in allen wesentlichen Bereichen zunehmend zu überwinden. Das gilt für die Wirtschaft, die Gesellschaften der einzelnen Länder und Kontinente, aber auch für Technik und Technologie, für Bildung und auch für die Politik. In allen diesen Bereichen sorgt der Prozess Globalisierung für die zunehmende Überwindung bestehender, regionaler oder nationaler Grenzen.
Dieser Globalisierungsprozess ist aber kein einheitlicher und klar in sich strukturierter – er besteht vielmehr aus einer Vielzahl von ineinander greifenden und einander gegenseitig bedingenden Einzelprozessen. Die Verflechtungen sind komplex, und die einzelnen Prozesse laufen mit deutlich unterschiedlichen Geschwindigkeiten ab – aber erst die gesammelte Vielzahl dieser Einzelprozesse kann man als ‚den Prozess Globalisierung‘ ansehen. Man kann dabei grob nach politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Prozessen differenzieren.
Politische Prozesse der Globalisierung
Politische Prozesse laufen zumeist nur sehr langsam ab, oft über Generationen hinweg. Die Annäherung von territorialen Einzelstaaten, die enge Verbindung über zunehmende bilaterale Verträge, bis hin zur Harmonisierung der Politik und der Öffnung der Grenzen geht nur sehr langsam vor sich, das macht auch sehr gut der lange Weg von der europäischen Freihandelszone bis zur heutigen EU mit dem Schengen-Raum deutlich.
Der Prozess des Zusammenwachsens der europäischen Staaten schreitet dabei weiterhin voran – und wird das auch in Zukunft noch tun. Bislang ist immer noch erst ein Zwischenschritt erreicht. Auch im internationalen Bereich findet der Prozess zwischen Einzelstaaten und bereits existierenden Staatengebilden statt, hat aber das Niveau der heutigen EU nirgendwo außerhalb tatsächlich auch nur annähernd erreicht, noch nicht einmal bei den EU-Anrainerstaaten.
Als letztes werden – wenn überhaupt jemals – dann die kontinentalen Grenzen fallen. Geschichtlich liegt dieser Zeitraum aber in jedem Fall noch weit hinter dem Ende unserer Lebensspanne. Der politische Prozess der Annäherung geht in der Regel umso schneller voran, je weiter er fortschreitet – das liegt in seiner Natur. Gerade die Anfänge gestalten sich dagegen oft schwierig, sie setzen im Vorfeld bereits eine kulturelle Annäherung voraus, die oft allein schon Generationen dauert – oder gar nie stattfindet.
Kulturelle Heterogenisierung
Ein wichtiger politischer Prozess, der ebenfalls die Globalisierung betrifft, ist auch der politische Gegentrend: die kulturelle Heterogenisierung, die übertriebene Betonung der eigenen, nationalstaatlichen Identität und Souveränität, Separationsbestrebungen und Abspaltungen von Einzelstaaten. Beide Prozesse, der der Annäherung so wie der der Abgrenzung, existieren immer gemeinsam. Diese Tatsache ist auch für die vergleichsweise lange Zeitdauer stabiler politischer Annäherungen verantwortlich – er sorgt aber auch für ein immer intaktes Gleichgewicht von Souveränität und gegenseitiger Verbindung, was für die politische Stabilität in den Staatsgebieten praktisch unabdingbar ist.
Politische Prozesse innerhalb der Globalisierung muss man daher immer über größere Zeiträume hinweg betrachten, wie etwa die Entwicklung der EU aus der Geschichte zweier Weltkriege. Unabhängig davon sorgen aber erst politische Entscheidungen dafür, dass andere Prozesse, wie etwa die wirtschaftliche Verbindung der Staaten, überhaupt erst zu laufen beginnen können, und auch tragfähig sind.
Gesellschaftliche Prozesse der Globalisierung
Sie stellen bei weitem den komplexesten – und auch teilweise den undurchschaubarsten – Bereich der Globalisierungsprozesse dar: vom Strukturwandel innerhalb der einzelnen Gesellschaften bis hin zu geänderten Lebensentwürfen des Einzelnen sind sie eine Folge der technischen, wirtschaftlichen aber vor allem der politischen Rahmenbedingungen. Die technischen Entwicklungen im Bereich der Kommunikationstechnologie haben ihren Teil zu den gesellschaftlichen Veränderungen beigetragen. Sie haben in den vergangenen zwanzig Jahren unser Kommunikationsverhalten aber auch unsere Beziehungsstrukturen grundlegend verändert.
Darüber hinaus haben sie auch zu deutlichen Veränderungen in unserer Arbeitswelt und zu einer wichtigen Verschiebung der Werte vor allem in Bezug auf Arbeit, Freizeit und persönliche Freiheit geführt. Kommunikationstechnologien sind also praktisch der Motor – der erste Anstoß – der gesellschaftlichen Veränderungen gewesen.
Bewirkt wurden alle diese Veränderungen innerhalb der Gesellschaft aber vor allem durch das plötzliche Vorhandensein von neuen Möglichkeiten, die zuvor nicht existierten, und die vielen menschlichen Bedürfnissen, wie etwa die persönliche Freiheit und kreative Selbstentfaltung beim Lebenserwerb sehr deutlich entgegen kamen. Auch dieser Prozess des Strukturwandels und der Verschiebung traditioneller Werte, Bewertungen und Rollenbilder hält zunehmend weiter an.
Er bringt nicht nur Positives mit sich, sondern auch Schattenseiten, und vor allem Unsicherheiten in vielen Bereichen. Vor allem Ziellosigkeit, Wurzellosigkeit und Überforderung angesichts der vielen neuen Möglichkeiten stellen für viele Menschen heute ein schweres Problem und einen hohen Stressfaktor dar. Die sich durch veränderte Arbeitsprozesse und Freizeitaktivitäten auch immer stärker beschleunigende Welt birgt auch eine hohe Gefahr von gesundheitlichen Schäden und stressbedingten Erkrankungen, denen die westliche Schulmedizin bislang nicht immer wirklich gewachsen scheint.
Umgekehrt fördert das aber auch die gerade im Bereich der Gesundheit so wichtige Selbstverantwortung. Jede der kurzfristig nachteiligen Wirkungen dieser gesellschaftlichen Veränderungen trägt also auch immer schon das Potenzial positiver Veränderung in sich. Auch insgesamt sind die gesellschaftlichen Veränderungen, die die Globalisierung mit sich bringt, als langfristig positiv zu sehen – ein Weg zu mehr Freiheit, Selbstbestimmtheit und individueller Selbstverwirklichung des Einzelnen.
Wirtschaftliche Prozesse der Globalisierung
Die wirtschaftlichen Prozesse der Globalisierung sind immer eine Folge vorangegangener politischer Entscheidungen. Von der Öffnung und Internationalisierung der Finanzmärkte hin bis zur Förderung des internationalen Handels und des weltweiten Güterverkehrs. Auch der Austausch von Knowhow, die Abstimmung von Wirtschaftssystemen aufeinander und die gemeinsam ausgeübte Kontrolle über die Weltwirtschaft und die Weltfinanzen stellen politisch gelenkte Prozesse dar.
Das zugrunde liegende Ziel all dieser Prozesse ist, dass sie allen Staaten der Welt eine gleichberechtigte Teilnahme am Handel mit allen anderen Staaten der Welt ermöglichen sollen. Inwieweit das marktwirtschaftliche System der heutigen Zeit einer Teilnahme von lauter gleichberechtigten Partnern tatsächlich gewachsen ist, ohne zu kollabieren, mag dahingestellt bleiben – vermutlich wird es im Lauf der nächsten Generationen wohl ebenso deutliche Veränderungen erfahren. Eine Wirtschaftspolitik der permanenten Überproduktion und des ständigen Wachstums wird so möglicherweise langfristig nicht haltbar sein.
Lösung für Problem der Ressourcenverteilung gesucht
Ungelöst ist bislang auch die Frage nach der gerechten Ressourcenverteilung innerhalb der Welt, die man als grundlegend für ein gleichberechtigtes Wirtschaften betrachten muss. Immerhin verbrauchen heute im Allgemeinen 20% der Menschen fast 80% aller Güter. Das Verhältnis verschiebt sich zwar langsam in Richtung der Schwellenländer, die am Ressourcenverbrauch aufholen, eine echte Änderung des 80/20-Prinzips ist aber noch lange nicht zu beobachten.
Ökologisch ist vor allem bedenklich, dass die Menge der vorhandenen Ressourcen bei weitem nicht ausreicht, um auch nur die Schwellenländer beim Ressourcenverbrauch auf das Niveau der westlichen Industriestaaten zu bringen. Auch hier ist also noch ein weitreichendes Umdenken erforderlich, ebenso wie bei der globalen Umweltverschmutzung, wo vielfach die Verursacher die einen, und die Leidtragenden die anderen sind, oft in mehrfacher Hinsicht.
Kulturelle Prozesse der Globalisierung
Was hier stattfindet, ist vorwiegend, dass sich die nationalen Kulturen immer mehr der westlichen, durch europäische und amerikanische Einflüsse dominierten Kultur annähern. Es kommt teilweise zu einem Wegfall traditioneller, kultureller Eigenheiten in den einzelnen Gesellschaften, während immer mehr Elemente der dominierenden Kultur angenommen werden.
Dieser Prozess wird sicherlich weit vor dem Verschmelzen zu einer Einheitskultur ohne individuelle Unterschiede sein Ende finden, und in einem stabilen Gleichgewicht aus nationaler Identität und Individualität und kultureller Einheit verbleiben. Insgesamt kann das Fortschreiten dieses Prozesses auch als ein wesentlicher Stabilisierungsfaktor für den Frieden angesehen werden – wo größere kulturelle Differenzen fehlen, ist auch eines der wichtigsten Konfliktpotenziale begraben.
Umgekehrt könnte aber der unvermeidlich auch immer vorhandene Gegentrend zur kulturellen Separierung und Abspaltungen, der damit im gleichen Maße Nahrung erhält, wiederum zu einem Konfliktherd werden. Waren vor allem Migration und die daraus entstehenden Konflikte das heiße Thema der neunziger Jahre, so ist es heute vor allem die positiv gesehene kulturelle Vielfalt, und die Annäherung.
In keiner Periode der Menschheit wurden in einer einzelnen Kultur wie der heutigen westlichen so viele Einflüsse aus so völlig unterschiedlichen über die Welt verstreuten Kulturkreisen importiert. Auch das lässt ein wenig Hoffnung aufkommen. Insgesamt können die kulturellen Prozesse der Globalisierung als durchwegs positiv gesehen werden – solange dem gefühlten Identitätsverlust eine ausreichend solide nationale kulturelle Identität entgegengestellt werden kann. Dann ruht auch zum größten Teil das innewohnende Konfliktpotenzial.
Ausblick auf die Zukunft
Alle Prozesse der Globalisierung werden auch weiterhin – in dem ihnen jeweils eigenen Tempo – voranschreiten, und zwar noch für lange Zeit. In dem einen oder anderen Bereich mag es zeitweilig wohl auch zu Rückschlägen oder zu Fehlentwicklungen kommen, insgesamt kann man die Globalisierung aber durchaus als einen der Evolution vergleichbaren Vorgang ansehen. Und der hat letztendlich auch positive Wirkungen erbracht – jedenfalls aus menschlicher Sicht.