Globalisierung der Literatur

Die Globalisierung ist ein Prozess, der den Zuwachs weltweiter Verknüpfungen und Verflechtungen in allen Bereichen menschlichen Wirkens beschreibt – damit erstreckt sie sich auch auf die Sprache und ihre künstlerische Ausformung, die Literatur. Diese Tendenz, dass die mündlichen und schriftlichen Spracherzeugnisse unterschiedlicher Gruppen, Nationen und Kulturen zueinander in Beziehung gesetzt werden, sich gegenseitig beeinflussen und bedingen, kann als Globalisierung der Literatur und in diesem Sinne als Teilbereich der kulturellen Globalisierung betrachtet werden. Da Literatur immer in einem Kontext existiert, also zahlreiche und komplexe Verbindungen zu anderen Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Medien und Kommunikation, Religion und Rechtsprechung aufweist, steht sie stets im Zusammenhang mit den durch die Globalisierung ausgelösten Veränderungen in diesen Bereichen. Im Gegensatz zu vielen dieser Arbeitsfelder ist die Globalisierung der Literatur bislang jedoch vergleichsweise wenig untersucht bzw. wissenschaftlich beschrieben worden.

Funktion der Literatur im Prozess der Globalisierung

Zuallererst muss festgestellt werden, dass nicht nur die Literatur „globalisiert“ wird, d. h. den positiven und negativen Auswirkungen globaler Vorgänge unterworfen ist, sonders dass sie auch umgekehrt diese Vorgänge beeinflusst, dass sie den globalen Wandel anregt. Moderne Definitionen sehen Literatur als kommunikativen Prozess, d. h. als Mittel der Verständigung von Menschen und damit als Möglichkeit zur Entdeckung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Diese Gemeinsamkeiten, übermittelt durch das Medium der Sprache, sind oftmals Grundlage von Globalisierungsprozessen, die anschließend auf zahlreiche andere Bereiche übergreifen.

Literatur propagiert zum Teil sogar internationale Sprachsysteme, wie z. B. Esperanto, die im Sinne der weltweiten Verflechtung großes Potenzial bergen. Gegenwartsliteratur in ihrer Funktion der kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen Themen lenkt besondere Aufmerksamkeit auf Problematiken, welche die gesamte Welt betreffen und welche deshalb nach einer globalen Verständigung und Zusammenarbeit verlangen. Deutliche Beispiele dafür sind globale Dystopien bzw. Untergangsszenarien wie Schätzings „Der Schwarm“ (2004). Trotz ihres fiktionalen Charakters werden solche Werke weltweit rezipiert und bieten Stoff für Kontroversen genauso wie für Verarbeitungen und Adaptionen.

Entwicklungstendenzen der Literatur im Kontext der Globalisierung

Während der vergangenen Jahrhunderte und insbesondere der letzten Jahrzehnte hat die Literatur aufgrund der „Öffnung nach außen“ und der wachsenden internationalen Verknüpfungen zahlreiche grundlegende Veränderungen erfahren. Schon im 18. und 19. Jahrhundert rückten durch das Aufblühen der Reise- und Abenteuerliteratur Themenbereiche weit außerhalb der regionalen und nationalen Grenzen in den Fokus: Das Fremde und Exotische entwickelte eine unwiderstehliche Anziehungskraft.

So kann man in Daniel Defoe’s „Robinson Crusoe“ (1719), in Herman Melvilles „Moby Dick“ (1851), Robert Stevenson’s „Die Schatzinsel“ (1883) und Karl Mays Reiseromanen (ca. 1890-1910) durchaus Grundlagen für eine Globalisierung der Literatur erkennen, da in ihnen das Interesse an unbekannten Regionen der Welt zu Tage tritt – was unweigerlich zur Thematik des Zusammenpralls unterschiedlicher Sprachen, Kulturen, politischer Systeme und Religionen führt. Um 1800 entstand zudem der im Zusammenhang mit der Globalisierung zentrale, wenn auch nicht unproblematische Begriff der „Weltliteratur“; erstmals 1790 von Christoph Martin Wieland verwendet, wurde er 1827 von Goethe genauer beschrieben. Marx und Engels untersuchten seine historische und sozialökonomische Dimension; wirklich bedeutsam wurde er jedoch erst im 20. Jahrhundert.

Weltliteratur

Als Weltliteratur werden in der Regel Werke bezeichnet, die eine starke Verbreitung gefunden haben und eine Bedeutung für die gesamte Menschheit besitzen. Das bedeutet nicht, dass sie nicht einem bestimmten geografischen Kontext entstammen können, aber durch ihren herausstechenden Charakter stehen sie exemplarisch für sprachliche, soziale, politische o. a. Phänomene, die alle auf der Erde lebenden Menschen in gewisser Weise betreffen. Damit ist die Weltliteratur zumindest dem Ideal nach der Inbegriff von Globalisierung; angesichts des Problems, welche Werke der Weltliteratur zuzurechnen seien, ist der Begriff jedoch schwierig zu handhaben.

Die Bedeutung der Globalisierungsprozesse des 20. Jahrhundert für die Literatur schlägt sich allein schon in der Wahl der behandelten Themen nieder: Die Weltkriege, die Urkatastrophen des Jahrhunderts, damit einhergehend der Holocaust, aber ebenso der Kalte Krieg, der Vietnamkrieg und die vielfachen militärischen Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte im Irak und in Afghanistan haben gigantischen Einfluss auf die weltweite Entwicklung der Literatur genommen. Die gemeinsamen traumatischen Erlebnisse ebenso wie die politisch motivierten Unterschiede in der Wahrnehmung dieser historischen Einschnitte haben zu unzähligen literarischen Produktionen und einem Austausch im globalen „Forum“ der Literatur angeregt.

Themen in der Literatur

Auch weitere aktuelle Probleme wie Terrorismus oder Umweltverschmutzung schlagen sich international in den schriftstellerischen Erzeugnissen wieder; zu Beginn des neuen Jahrtausends wurde dementsprechend unter anderem der Begriff des „Globalisierungsromans“ geprägt. Indem viele dieser Werke in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, sind sie einem sehr breiten Publikum zugängig. Die Dominanz des Englischen zeigt sich hier ebenso wie in anderen Bereichen der Globalisierung: Nicht nur in den primär englischsprachigen Ländern wird auf Englisch publiziert, auch viele Autoren aus Süd- und Südost-Asien – darunter besonders Indien und Pakistan -, Afrika und der Karibik bedienen sich der englischen Sprache. Dies hängt zum großen Teil mit der kolonialen Vergangenheit dieser Staaten als ehemaligen Teilen des British Empire zusammen.

Darüber hinaus ist jedoch Englisch meist Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Verbreitung und weltweite Anerkennung des Werkes. Dass die traditionellen westlichen „Zentren“ der literarischen Kunst längst ihren Alleinstellungsanspruch verloren haben – wenn ihnen auch noch immer eine dominante Position zukommt -, wird anhand der Vergabe einiger der wichtigsten internationalen Literaturpreise deutlich. Der Nobelpreis für Literatur wurde 2012 an den Chinesen Mo Yan überreicht; in den 20 Jahren zuvor kamen fünf der ausgezeichneten Autoren nicht aus Europa oder Nordamerika. Der Booker Prize, der einem im British Commonwealth, Indien oder Simbabwe beheimateten Schriftsteller verliehen wird, wurde in den letzten 20 Jahren sechs Mal an einen Künstler aus Indien oder von der Südhalbkugel vergeben.

Fazit

Inwieweit Globalisierung als positive oder negative Erscheinung der modernen Welt angesehen werden kann, bleibt eine kontroverse Frage. Auch in der Literatur finden Gegenbewegungen gegen eine befürchtete Vereinheitlichung und den Verlust der kulturellen Identität ihren Ausdruck in der „Re-Lokalisierung“, im Rückzug auf einen speziell regionalen Kontext und Leserkreis. Außer Frage steht jedoch, dass die Literatur Globalisierungsprozessen unweigerlich unterworfen ist, dass sie zunehmend als globales Phänomen wahrgenommen wird und dass dieser Wandel ebenso neue Formen und Ausdrucksmöglichkeiten entstehen lässt wie er alte auflöst.

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