Globalisierung und die Industrieländer

Bevor auf die Folgen des Globalisierungsprozesses für die Industrieländer eingegangen werden kann, sollen die beiden Begriffe genauer definiert werden. Was ist Globalisierung? Welche Staaten werden als Industriestaaten, bzw. Länder bezeichnet?

Globalisierung – Versuch einer Definition

In der Forschung wird unter der Globalisierung ein weltweiter Prozess verstanden, bei dem sich zahlreiche Lebens- und Wirtschaftsbereiche zu einem globalen Netzwerk entwickeln und miteinander verflochten werden. So kann z.B. ein Konzern in der Autobranche ohne seine Produktionsstätten in China, ohne ein Entwicklungszentrum in West-Europa, ohne die Ingenieurausbildung in den USA und ohne seine Zulieferer in Ost-Europa nicht über längere Zeit als Marktführer bestehen. Ein solcher Konzern ist somit eng in den Globalisierungsprozess eingebunden. Moderne Kommunikationsmittel und sichere und schnelle Handelsrouten fördern die weltweite Verflechtung von unterschiedlichen Bereichen. Globalisierung bedeutet ebenfalls eine globale Mobilität der Ressourcen, sowohl der Produktionsmittel als auch der Arbeitskräfte.

Industrieländer – eine Annäherung an den Begriff

Unter Industriestaaten wurden in der Wissenschaft ursprünglich diejenigen Länder verstanden, bei denen der Anteil der Industrie am Bruttoinlandprodukt besonders hoch war. Allerdings kann im Zuge der globalen Verschiebungen in der Wirtschaftsstruktur dieses Kriterium nicht mehr angewandt werden, denn in der Wirtschaft der meisten hochentwickelten Staaten dominiert der Dienstleistungssektor. Die alte Bezeichnung bleibt zwar bestehen, doch bedeutet sie heute v.a. Staaten, die einen hohen Nationaleinkommen-pro-Kopf aufweisen. Außerdem können Industrieländer mit Hilfe von dem Human Development Index (HDI) definiert werden, der außer den monetären Kriterien auch die Bildungschancen und die allgemeine Lebensqualität in dem jeweiligen Land berücksichtigt. Alles in allem gehören vorwiegend westeuropäische Staaten, die USA, Kanada, Australien, Neuseeland und Japan zu den Industrieländern.

Globalisierung und Industrieländer – komplexe Zusammenhänge

Von den Globalisierungsprozessen sind alle Länder der Welt betroffen, allerdings nicht im gleichen Maße. Insgesamt gibt es keine absoluten Gewinner und auch keine absoluten Verlierer bei diesem Prozess. Da das Globalisierungsgeschehen noch voll im Gange ist, kann man nur über Zwischenergebnisse und Zwischenbilanzen reden. Wie gestaltet sich denn die Auswirkung der globalen Verflechtung auf die Wirtschaft und auf die Gesamtsituation in den Industriestaaten?

Wachsende Mobilität – Vor- und Nachteile für den Arbeitsmarkt

Wie bereits erwähnt, ist die wachsende Flexibilität und Mobilität von allen Ressourcen ein wichtiges Merkmal der Globalisierung. Am Beispiel von einem Automobilkonzern bedeutet es, dass das Unternehmen sich bei der Auswahl seiner Betriebsstandorte überwiegend an die Kosten-Nutzen Rechnung orientiert, ohne die nationalen Grenzen zu berücksichtigen. Es wird dort produziert, wo es am günstigsten ist. Daher werden zahlreiche Betriebsstätten in die Billiglohnländer ausgelagert. Für die Firma bedeutet dies höhere Profite, somit kann das Unternehmen (in unserem Beispiel das Automobil-Konzern) mehr Steuern an den Staat zahlen. Für den Arbeitsmarkt in den Industriestaaten bedeutet dies eine Umwälzung der bestehenden Verhältnisse. Arbeitnehmer, deren Jobs durch die Verlagerung der Produktion gestrichen werden, gehen in die Arbeitslosigkeit. Für sie besteht zwar eine Möglichkeit der Umqualifizierung, doch betrifft sie vorwiegend jüngere Arbeitnehmer. Die ältere Generation scheidet aus dem Berufsleben aus. Auf dem Arbeitsmarkt werden immer mehr Berufe gefragt, die eine hohe Qualifikation benötigen. Die meisten weniger qualifizierten Arbeitsstellen werden in die Länder ausgelagert, in denen die Lohnkosten geringer sind. Selbstverständlich gibt es zahlreiche Jobs, die lokal gebunden sind, darunter auch welche, die eine geringe Qualifikation erfordern.

Am Beispiel einer Reinigungskraft kann man die Auswirkungen der Globalisierung in diesem Bereich untersuchen. Der Job einer Reinigungskraft in einem Kaufhaus oder Supermarkt kann einerseits nicht ausgelagert werden. Andererseits aber bedeutet die Flexibilität des Arbeitsmarktes, dass Arbeitskräfte aus den Niedriglohn-Ländern (im Falle von EU sind es die Staaten in Osteuropa) in die Länder mit hohen Lohnkosten einwandern können. Bei diesen Menschen ist die Bereitschaft groß, auch für kleinere Gehälter zu arbeiten. Daher ist es wahrscheinlich, dass im Zuge der Globalisierung der Job einer Reinigungskraft in einem Kaufhaus in Westeuropa von einer Arbeitnehmerin z.B. aus Osteuropa besetzt wird. Eine Arbeitnehmerin aus Westeuropa wird entweder arbeitslos oder ist gezwungen, für ein geringeres Gehalt den gleichen Job zu übernehmen. Daher wirkt die Globalisierung als ein starkes Druckmittel auf die Löhne. Andererseits verursacht der Globalisierungsprozess massive Verschiebungen in der Qualifikationsstruktur der Beschäftigten und steigert den Anteil an hochqualifizierten Arbeitnehmern, da der größtmögliche Teil der niedrigqualifizierten Jobs ausgelagert wird.

Industrieländer und Globalisierung: Folgen für die Ausbildung

Globalisierung führt zu vergleichsweise besseren Bildungsmöglichkeiten, da es v.a. für die Studierenden aus den Industriestaaten relativ einfach ist, einen Studienort frei auszuwählen und dort den Beruf zu erlernen, wo die Bildungsqualität am höchsten ist.

Industrieländer: Auswirkungen der Globalisierung auf die Preise

Da weltweit überwiegend dort produziert wird, wo die Kosten am niedrigsten sind, sinken die Herstellungskosten und entsprechend die Preise. Moderne Kommunikationsmittel und schnelle Transportmöglichkeiten führen dazu, dass die Kosten in diesem Bereich ebenfalls gering sind. Es ist für ein Großunternehmen günstiger Elektrogeräte, Textilien usw. in China zu produzieren und sie anschließend nach Europa zu verfrachten, als die gleiche Ware in Europa selbst herstellen zu lassen. Zur Senkung der Transportkosten führte v.a. die Einführung des standartisierten ISO-Containers für die Seefahrt, die eine platzsparende Verschiffung von großen Warenmengen ermöglicht hat. Auch die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, wie am Beispiel der Reinigungskraft gezeigt, führt indirekt zur Senkung der Preise. Allerdings wird dadurch auch die Kaufkraft der Bevölkerung gemindert, denn einem Geringverdiener stehen entsprechend weniger finanzielle Mittel für den Erwerb der Waren zur Verfügung. Eine gegenläufige Tendenz ist der wachsende Anteil von Hochqualifizierten an der Bevölkerung, denn diese Arbeitnehmer werden besser entlohnt und verfügen dementsprechend über eine hohe Kaufkraft. Dieser Umstand wirkt auch der Preissenkung entgegen. Die Folgen der Globalisierung für die Preise sind somit nicht eindeutig zu definieren, es sind lediglich weitere Verschiebungen des ganzen Preissystems zu erwarten.

Industrieländer: Auswirkungen der Globalisierung auf die Umwelt

Die Tendenz zur Auslagerung von Produktion in die Billiglohnländer verfolgt außer der Kostensenkung nicht selten ein weiteres Ziel: Nämlich die strikten Umweltkontrollen der Industrieländer zu umgehen und dort zu produzieren, wo die entsprechenden Anforderungen niedriger sind. Dadurch werden Umweltprobleme ebenfalls ausgelagert, und während die Umwelt der Industrieländer geschont wird, verschlechtern sich die ökologischen Bedingungen in den sog. Entwicklungsländern. Andererseits ist die Erdatmosphäre ein komplexes System, das schon vor jeder Globalisierung global funktionierte und für welches keine Staatsgrenzen etwas gelten. Daher wirkt sich die Umweltverschmutzung in China oder in afrikanischen Staaten auf den Zustand der Umwelt in Europa ebenfalls negativ aus. Dieser Umstand führt dazu, dass die Industrieländer mit den Entwicklungsländern bei der Lösung der Umweltprobleme zu kooperieren gezwungen sind.

Globalisierung und Folgen für die Politik

Die Globalisierung des Handels und der Produktion führen zur Entstehung von Großunternehmen, den sog. Global Players, deren wirtschaftliche Macht oft die Macht einzelner Staaten übertrifft. Die meisten dieser Konzerne residieren in den Industrieländern. Um etwas der Macht der Konzerne entgegen zu stellen, sind viele Staaten genötigt, ihre Politik zu koordinieren und gemeinsame Richtlinien auszuarbeiten. Die Gebiete, in denen die Zusammenarbeit, v.a. in Europa, bereits aktiv geschieht, sind Währungspolitik, Umweltpolitik, Handelspolitik und zahlreiche weitere Bereiche. Trotz gegenwärtiger Probleme wird es vermutlich zur weiteren Vertiefung der Zusammenarbeit kommen, denn die Globalisierung lässt für die Industrieländer keine andere Wahl.

Fazit

Industrieländer sind in den Prozess der Globalisierung weitgehend verwickelt, es bleibt heute so gut wie keiner Wirtschaft- oder Privatbereich von den Auswirkungen dieser Prozesse unberührt. Die Folgen der Globalisierung für die Industrieländer sind komplex und können weder als ausschließlich positiv oder als ausschließlich negativ beschrieben werden. Doch insgesamt gehören heute die Industrieländer eher zu den Gewinnern der Globalisierung.

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