Jugoslawienkrieg
Unter dem Begriff Jugoslawienkriege ist eine Reihe aufeinander folgender, kriegerischer Auseinandersetzungen bekannt, welche gegen Ende des 20. Jahrhunderts auf dem Staatsgebiet des damaligen Jugoslawien stattfanden. In der Folge der Konflikte, die im Kern von 1991 bis 1999 andauerten, zerfiel Jugoslawien in mehrere, bis heute souveräne, Teilstaaten.
Ursachen und Hintergründe
Eine äußerst explosive Mischung von innerstaatlichen Problemen in Verbindung mit der Unfähigkeit der damaligen Regierung Jugoslawiens, diese zur Zufriedenheit aller Beteiligten kurzfristig zu lösen, stellte die Ursache für den Ausbruch der Jugoslawienkriege dar. Diese Probleme waren sowohl im ökonomischen als auch im ethnischen bzw. religiösen Bereich angesiedelt. Das damalige Jugoslawien war eine heterogene Gesellschaft, in der vor allem das Christentum und der Islam nebeneinander existierten, was zwangsläufig immer wieder zu Spannungen unter den verschiedenen Bevölkerungsgruppen sorgte. Darüber hinaus war die wirtschaftliche Lage Jugoslawiens bereits seit den 1980er Jahren fatal, es herrschte eine Hyperinflation, aufgrund derer sich die diversen Teilrepubliken um die wenigen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel bzw. deren gerechter Verteilung stritten.
Während die wirtschaftlich stärkeren Republiken wie Kroatien und Slowenien die dort erwirtschafteten Devisen zum größten Teil für sich behalten und damit ihre Wirtschaft stützen wollten, beanspruchten die ärmeren Republiken Serbien, Mazedonien, Montenegro sowie Bosnien und Herzegowina mehr Mittel aus dem gemeinsamen Finanztopf, um die brachliegende Wirtschaft in diesen Regionen anzustoßen. Auf diesen durch zahlreiche Probleme ohnehin schon vorbereiteten Nährboden fielen in der Folge am Ende der 1980er Jahre stark nationalistisch ausgeprägte Bewegungen vor allem in Serbien und Kroatien. Beispielsweise äußerte sich der kroatische Staatspräsident mehrfach öffentlich in antiserbischer und antisemitischer Weise und schürte damit umso mehr die bereits aufgeheizte Atmosphäre zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Auch auf serbischer Seite wurde der Konflikt geschürt. Im sogenannten SANU-Memorandum von 1986 betonte die Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste die Unzulänglichkeiten des jugoslawischen Politiksystems und sprach zudem von einem Völkermord am serbischen Volk.
Veränderung der Parteienlandschaft
Die politischen Veränderungen in den sozialistischen Staaten Europas in den Jahren 1989 und 1990 zogen auch in Jugoslawien eine Veränderung der Parteienlandschaft nach sich. Dem folgten die ersten freien Wahlen in mehreren Republiken Jugoslawiens, die jeweils von nationalistisch eingestellten Parteien gewonnen werden konnten. In der Folge erklärten sowohl Slowenien als auch Kroatien nach jeweils erfolgreichen Referenden am 25. Juni 1991 ihre Souveränität. Die jugoslawische Regierung wertete dies als Bruch der Verfassung, welche zwar das Selbstbestimmungsrecht der Völker Jugoslawiens garantierte jedoch keine Lösung für den Fall vorsah, dass sich eine der Republiken aus dem Staatenbund lösen wollte. Mit militärischen Interventionen durch die jugoslawische Volksarmee versuchte die Jugoslawische Regierung, den Austritt Sloweniens aus dem Staatenbund zu verhindern, was zu ersten Gefechten mit slowenischen Streitkräften führte. Dies markierte den Anfang der Jugoslawienkriege.
Verlauf des Jugoslawienkrieges
Bereits ab März 1991 gab es in Kroatien kleinere Auseinandersetzungen zwischen serbischen und kroatischen Gruppierungen, in der Folge auch Todesopfer zu beklagen waren. Grund hierfür war vor allem die Ausrufung der Serbischen Autonomen Provinz Krajina in Knin am 29. Februar 1991 auf dem Gebiet Kroatiens und der Vertreibung kroatischer Familien aus diesem Gebiet, sowie der Aufnahme serbischer Flüchtlinge aus dem Rest von Kroatien. Nach der Proklamation ihrer Unabhängigkeit durch Slowenien und Kroatien am 25. Juni 1991 griff bereits am Tag darauf die Jugoslawische Volksarmee in Slowenien ein, um diese zu verhindern. Unter anderem wurde der Flughafen von Ljubljana bombardiert. Nach zehn Tage andauernden Kämpfen zwischen der slowenischen Territorialverteidigung und der Jugoslawischen Volksarmee wurde am 7. Juli das Brioni-Abkommen geschlossen, in dessen Folge alle jugoslawischen Streitkräfte aus Slowenien abgezogen wurden und Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeitsbestrebungen für drei Monate aussetzten. Somit war der sogenannte „10-Tage-Krieg“ in Slowenien beendet. Das Abkommen wurde möglich, weil in Slowenien keinen nennenswerte serbische Minderheit lebte, für die sich ein weiterer militärische Einsatz der jugoslawischen Volksarmee gelohnt hätte.
Während in Slowenien das Abkommen Erfolg hatte und keine weiteren Kampfhandlungen mehr auf slowenischem Territorium stattfanden, verschlimmerte sich in der Folge der Brioni-Abkommens die Lage in Kroatien zusehends. Vor allem die hauptsächlich von Serben bewohnte Provinz Krajina sowie Slawonien und Nord-Dalmatien war umkämpft, da die Serben die Eroberung eines zusammenhängenden Gebietes anstrebten, welches im Anschluss an den Rest Jugoslawiens angegliedert werden sollte.
Zurückeroberung serbisch besetzten Gebiete
Bereits im September 1991 hatten die Serben große Teile Kroatiens erobert. Die Jugoslawische Volksarmee (JNA) griff im Verlauf der Krieges auf Seite der Serben in das Geschehen ein, jedoch erst nachdem die kroatische Armee sich für eine Blockade von Kasernen der JNA auf kroatischem Gebiet entschloss. Gegen Ende 1991 konnte die kroatische Armee ihre Verteidigungslinien festigen, worauf eine Waffenruhe mit den Serben folgte, die bis Anfang 1993 andauerte. Nachdem ab Januar 1992 UN-Friedenstruppen in Folge eines Friedensplanes in Kroatien stationiert worden waren, brachen im Januar 1993 die Kämpfe auf kroatischem Gebiet kurz vor Ablauf des UN-Mandats wieder aus. Im Verlauf mehrerer minutiös geplanter Offensiven eroberte die kroatische Armee bis August 1995 einen Großteil der serbisch besetzten Gebiete, darunter auch die „Serbische Republik Krajina“ zurück. In Folge dessen mussten mehr als 150.000 Serben aus der Krajina in Richtung Bosnien und Serbien flüchten. Trotz der Garantie auf freies Geleit kam es während dieser Zeit zu Übergriffen von Seiten der kroatischen Armee. Auch in Bosnien-Herzegowina begannen die Kampfhandlungen nach der Proklamation der Unabhängigkeit des Staates am 3. März 1992 durch die bosnische Regierung. Zunächst standen sich hier die bosnischen Serben auf der einen Seite und die bosnischen Kroaten sowie die Bosniaken auf der anderen Seite gegenüber.
Offener Kriegsausbruch
Nachdem die EG Bosnien-Herzegowina am 5. April als unabhängigen Staat anerkannte, brach direkt im Anschluss daran in ganz Bosnien offen der Krieg aus. In direkter Folge schlossen sich am 5. Mai 1992 Serbien und Montenegro zur „Bundesrepublik Jugoslawien“ und überließen den militärischen Oberbefehl sowie schweres Kriegsgerät in Bosnien der dortigen serbischen Führung. Trotz mehrerer Vermittlungsversuche durch die UNO sowie der Stationierung von UN-Schutztruppen und diversen verhängten Sanktionen dauerten die Kampfhandlungen auf dem Gebiet Bosnien-Herzegowinas bis Ende 1996 an. Am 21. November wurde schließlich der Friedensvertrag von Dayton geschlossen, welcher sowohl von der Führung der Serben als auch von der kroatischen Regierung unterzeichnet wurde und durch die Stationierung von NATO-Truppen gesichert werden sollte.
Da in den Kroatien und Bosnien-Herzegowina geschlossenen Friedensverträgen der Lage im Kosovo nicht Rechnung getragen wurde, musste die NATO vom 24. März bis 10. Juni 1999 Luftangriffe gegen die Bundesrepublik Jugoslawien führen, um die Zivilbevölkerung des Kosovo gegen serbische Übergriffe zu schützen. Dieser hatte im September 1991 seine Unabhängigkeit proklamiert, welche aber bis heute von den meisten UN-Staaten nicht anerkannt wird. Seit 1999 steht der Kosovo unter UN-Verwaltung. Mazedonien konnte ohne serbische Intervention am 19. November 1991 seine Unabhängigkeit erklären. Es kam bis 2001 lediglich zu kleineren Auseinandersetzungen der mazedonischen Armee mit der albanischen Minderheit.
Opfer und Kriegsverbrechen
Sowohl während des Kroatien-Krieges als auch bei den Kämpfen in Bosnien Herzegowina kam es zu zahlreichen Verbrechen gegen die Menschenrechte, die in der Folge vor dem internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien verhandelt wurden. Diese wurden sowohl auf kroatischer als auch serbischer Seite begangen und die Prozesse dauern teilweise bis heute an. Insgesamt kamen im Jugoslawien-Krieg mehr als 120.000 Menschen ums Leben und mehrere Zehntausend wurden dabei verletzt oder gelten als verschollen.