Globalisierung am Nordpol
Der nördlichste Punkt der Erde ist nicht punktgenau definiert, weil er keine geographische Länge hat. Daher ist vom geographischen Nordpol die Rede, der auf einer schwimmenden Eisdecke liegt, 4087 m über dem Meeresgrund. Den konnte an dieser Stelle 2007 eine russische Forschungsexpedition messen. 660 km von diesem geographischen Nordpol entfernt liegt der Nordpol der Unzulänglichkeit. Ein Titel für die Tatsache, dass an diesem Punkt im Nordpolarmeer alles Festland am weitesten entfernt ist.
Globalisierung in kleinen Schritten
De facto muss niemand diesen Punkt erreichen, um sich von jeder menschlichen Begegnung zurück zu ziehen. Gemessen am Forscherwillen, der nicht selten in vielen Teilen der Welt trotz wenig lebensfreundlicher Bedingungen Expeditionen voran trieb, ist der Nordpol erst spät erreicht worden. Wer die Erstbegehung tatsächlich umsetzte, wird sich auf Grund unterschiedlicher Darstellungen kaum noch klären lassen. Möglich ist, dass sie im Rahmen einer Expedition US-amerikanischer Forscher am 6.April 1909 erfolgte. Frederik Cook behauptete, schon am 21.April 1908 den nördlichsten Punkt erreicht zu haben, was nicht verifizierbar war. Gesichert ist, dass 1926 der Nordpol überflogen und 1937 von einer Gruppe sowjetischer Wissenschaftler angeflogen und auch betreten wurde. Die ganze Anreise zu Fuß bewältigte nachweislich Sir Walter William Herbert mit seinem Team nach 467 Tagen am 11.Juni 1969. Mit der Nautilus kam 1958 das erste nuklearbetriebene U-Boot zum geographischen Nordpol. Konventionell angetriebenen Schiffen gelang das zum ersten Mal 1991 nach dreimonatiger, schwerer Eisfahrt. Als erste Symbole für Globalisierung könnte man die Titankapseln mit russischer Flagge am Meeresgrund bezeichnen, die 2007 von einer russischen Expedition abgesetzt wurden. Damit sollten Territorialansprüche unterstrichen werden, dass der Nordpol zum sibirischen Festland gehöre. Andere territoriale Ansprüche können von Dänemark, Kanada oder Norwegen erhoben werden. Es geht nicht um Eiswasser, sondern um die Nutzung riesiger Öl- und Gasvorkommen.
Wem gehört der nordische Kuchen
Ohne auf Ursachen und sonstige Folgen der Globalisierung in anderen Teilen der Welt einzugehen, sind die daraus resultierenden Folgen für den weltweiten Klimawandel kaum noch in Frage zu stellen.
Für den nördlichen Polarkreis bedeutet die Erwärmung, dass das arktische Eis schneller schmilzt. Die Auswirkungen der Globalisierung, die sich geographisch weit entfernt in kaum absehbarem Tempo entwickelt, haben für das nördliche Polarmeer fatale Folgen. Im Gegensatz zu Erdölvorkommen in anderen Teilen der Welt, die in politisch höchst instabilen Gebieten liegen, sind die Ölvorkommen im abgelegenen Norden in mehrfacher Hinsicht Gold wert. Bevor aber die Globalisierung am Nordpol greifen kann, ist zu klären, welche der fünf Anrainerstaaten am Kuchen, beziehungsweise am arktischen Öl, mitnaschen dürfen. Russland, Kanada, die USA mit Alaska, Dänemark mit Grönland und Norwegen haben bereits Lizenzen für den Erdölabbau erworben, um schon heute in Küstennähe Bohrungen vornehmen zu können. Wird die Arktis als konventionelles Meeresgebiet eingestuft, würde sie in Bezug auf ihre Wirtschaftszonen, nach Abzug vorgegebener Teilbereiche, den rechtlichen Status hoher See innehaben. Russland und Kanada, die größten Anrainerstaaten, beanspruchen aber drei Viertel der Fläche unter dem Titel „sui generis“ für sich. Das würde die betroffene Fläche als Staatsgebiet definieren oder zumindest die ausschließlichen Nutzungsrechte sichern.
„Mehr als nur gefrorenes Wasser“ (Robert E.Peary)
Mit dem Sektorenprinzip werden von den jeweiligen Anrainerstaaten Grenzlinien zum Nordpol gezogen und die damit entstehenden, dreieckigen Gebiete der Souveränität des Küstenstaates unterstellt. Kanada folgt diesem Prinzip, die Sowjetunion lehnte es nach dem Zweiten Weltkrieg ab und verlagerte die Argumentation Richtung Seerecht.Bei Verhandlungen mit den USA und Norwegen standen die Sektorlinien im Fokus, wobei zu dem Zeitpunkt zunächst noch niemand an die frühen klimatischen Einflüsse dachte, die ein so großes Vorkommen an Rohstoffen freilegen würden. Mit Putin kam es zu einer Wende bei den russischen Verhandlungen über die Arktis. Das beanspruchte Gebiet ist größer geworden und beinhaltet exklusive Nutzungsrechte im russischen Sektor auf die dort vorhandenen Ölvorkommen. Anderen Staaten ist somit jeder Zugriff verwehrt. Um den Anspruch Russlands zu unterstreichen wurde sogar das Wahrzeichen auf dem Wappen der Partei Putins vom Braunbären in einen Eisbären geändert. Aber auch kleine Anrainerstaaten, wie etwa Dänemark, blieben nicht untätig. Sogar unterstrichen durch militärische Präsenz, wird die winzige Insel Hans als dänisches Territorium beansprucht. Der Grund liegt im Sinne des Wortes in der Tatsache, dass Hans unterirdisch mit dem Lomonossow-Rücken in Verbindung steht. Gelingt dieser Nachweis, kann Dänemark exklusive Nutzungsrechte an den Rohstoffvorkommen im Boden bis an den Nordpol geltend machen.
Mare Liberum oder Das eisfreie Polarmeer
Lange Jahre und Jahrzehnte wurde das Schicksal der Arktis von der Praxis bestimmt, auf den Boden der nördlichen Polarmeere keine Ansprüche zu erheben. Werden Rohstoffe mit der Klimaerwärmung, als Folge der Globalisierung im Rest der Welt, abbaubar, ist es nur eine Frage der Zeit, wann es zu Konflikten kommt.
Die Nachfrage an fossilen Brennstoffen steigt ebenso wie der Einfluss der Energiewirtschaft auf die Außen- und Sicherheitspolitik. Dazu kommt, dass dem hohen Norden auch militärische Bedeutung zukommt, ist er doch die Grenzlinie zwischen den Staaten der Nato-Mitglieder und Nicht-Mitglieder. Strategisch kooperieren die Anrainerstaaten nur dort, wo eigene Interessen gegen weitere Anrainer zu verteidigen sind. Angesichts der langen Liste individueller Ansprüche und Auslegungen zum jeweiligen Rechtsanspruch auf das Territorium um den Nordpol klingt der Wunsch nach einer friedlichen Konfliktlösung unter dem Titel „make law – not war“ wie ein frommer Wunsch, der sich aber hoffentlich mit verantwortungsvollen Vertretern der Anrainerstaaten doch auf Dauer umsetzen lässt.