Globalisierung im Iran
Der vorderasiatische Staat Iran mit der Hauptstadt Teheran gehört nicht nur zu den zwanzig größten, sondern mit einer Einwohnerzahl von ca. 71 Millionen Menschen ebenfalls zu den zwanzig bevölkerungsreichsten Staaten der Welt. (Vgl.: http://www.bpb.de/internationales/asien/iran/40219/das-land-in-daten) Geht man davon aus, dass das Phänomen der Globalisierung definiert werden kann, als „eine Intensivierung weltweiter sozialer Beziehungen, durch die entfernte Orte in solcher Weise miteinander verbunden werden, dass Ereignisse an einem Ort durch Vorgänge geprägt werden, die sich an einem viele Kilometer entfernten Ort abspielen, und umgekehrt“ (Giddens 1995, S. 85.), dann wird schnell klar, dass man diverse Ebenen der Globalisierung unterscheiden kann und muss. Gerade in Bezug auf den Iran ist davon auszugehen, dass der Globalisierungsgrad bezüglich der unterschiedlichen Ebenen wie zum Beispiel der wirtschaftlichen und der kulturellen Ebene nicht nur divergiert, sondern auch dass gerade in einer islamischen Republik wie dem Iran die Religion eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt und Auswirkungen auf den Grad der Globalisierung hat.
Globalisierung auf wirtschaftlicher Ebene
Folgt man der relativ einfachen, jedoch recht präzisen Definition des Terminus Globalisierung von Anthony Giddens ist es augenscheinlich, dass die Effekte dieses Phänomens äußert deutlich auf den Gütermärkten beobachtet werden können. Bedingt durch die Globalisierung wurden die vor einigen Jahrzehnten noch national segmentierten Gütermärkte entgrenzt, so dass dieselben Waren heute faktisch weltweit vertrieben und entsprechend auch erworben werden können. (Vgl.: Blotevogel 2000, S. 17.)
Wirtschaft in staatlicher Gewalt
Im Iran unterliegt allerdings fast die gesamte Wirtschaft staatlicher Kontrolle, ein Fakt, der von ausländischen Investoren stets berücksichtigt werden sollte, sofern Geschäftsbeziehungen mit bzw. Firmenexpansionen in den Iran angestrebt werden. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass der Iran obwohl er der viertgrößte Erdölproduzent der Welt ist und ebenfalls über reichhaltige Erdgasressourcen verfügt, lediglich den Rang 162 auf dem weltweiten Globalisierungsindex belegt. Ähnlich sieht es im Bereich des Welttourismus aus: Trotz zahlreicher historische Attraktionen, Städten wie Isfahan und Teheran, die zweifelsohne zu den faszinierendsten des Orients gehören, Stränden am Persischen Golf und am Kaspischen Meer sowie reizvollen Wüsten- und Bergregionen hat der Iran keinen Anteil an den Milliardenumsätzen der Tourismusindustrie. Laut der UN-Welttourismusorganisation (Vgl.: www2.unwto.org) könnte sich der Iran unter den ersten zehn Tourismusdestinationen weltweit befinden und so sowohl der enormen Arbeitslosenquote von inoffiziell über 50% (Vgl.: http://www.bpb.de/internationales/asien/iran/40219/das-land-in-daten) entgegenwirken, als auch dringend benötigte Devisen erwirtschaften. Die Realität sieht hingegen anders aus: Zufolge neuester Informationen des Weltwirtschaftsforums belegt der Iran als Tourismusstandort gerade einmal den 114. Platz von 139 gelisteten Ländern. Die Ursachen scheinen auch hier in der theokratischen Staatsform des Iran selbst begründet zu sein.
Iran als Reiseziel
So weist das Auswärtige Amt darauf hin, dass Alkoholgenuss untersagt, Fotografieren und Filmen restriktiv und mit Sensibilität gehandhabt werden sollten und darüber hinaus auch ausländische, nichtmuslimische Frauen die islamischen Bekleidungsvorschriften, das heißt ein Kopftuch und ein langes Obergewand, einhalten müssen. (Vgl.: http://www.auswaertiges-amt.de/sid_5B777ABBA234C2B20F2089673A469238/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/IranSicherheit_node.html) Entsprechend ist der Iran nicht als direktes Reiseziel zu bewerten und es sollten vor einer Reise in den Iran stets Informationen bezüglich der aktuellen politischen Lage sowie der Einreise- und Verhaltensvorschriften eingeholt werden.
Globalisierung auf kultureller Ebene
Betrachtet man die Globalisierung auf kultureller Ebene sieht man sich erneut mit zu differenzierenden Unterebenen konfrontiert. Einerseits sollten regionale Disparitäten wie die städtischen Lebensräume im Vergleich zu ruralen Randbereichen berücksichtigt werden, denn geht man mit Pierre Bourdieus davon aus, dass sich städtische und ländliche Lebensstile unterscheiden und dass die städtischen und ländlichen Regionen den Ursachen, Technologien und Strömungen der Globalisierung in unterschiedlicher Intensität ausgesetzt sind, muss man einen divergierenden Grad an Globalisierung annehmen. Andererseits ist es abermals das theokratische System des Iran, das gewissermaßen eine äußere, das heißt, eine im öffentlichen Raum zur Schau gestellte, und eine innere, das heißt, sich im privaten Bereich vollziehende, Lebensweise provoziert und etabliert. Klar ist, dass zu viel Globalisierung die Vormachtstellung des theokratischen Regimes bedrohen könnte und die iranischen Machthaber individuelle Vielfalt, evoziert durch den Westen, als politische Bedrohung empfinden.
Westliche Vorstellungen erhalten Einzug
Dennoch wird die kulturelle Globalisierung auch im Iran kaum aufzuhalten sein, denn die Jugend sucht ihre eigenen Wege und mehr als 70% der iranischen Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre, ein Großteil der Gesamtbevölkerung entsprechend geboren nach der Revolution von 1979. Grund für die Ängste der Machthaber im Iran ist demnach die Tatsache, dass sich die Globalisierung nicht auf einzelne Bereiche beschränken lässt, sondern neben Gütern, modernen Technologien und Dienstleistungen auch eine breite Palette sogenannter „weicher“ Begleiterscheinungen mit sich bringt. Die Universalisierung der Konsumnormen erfolgt dementsprechend auf der kulturellen Ebene und spiegelt sich ebenso durch als spezifisch „westlich“ typisierte Produkte wie McDonalds, Coca-Cola und Marlboro, als auch durch die mit diesen Produkten einhergehenden Lebensstile und Wertesysteme wider. Auf den Straßen von Isfahan und Teheran gehören junge Frauen in enger, modischer Kleidung mit Kopftüchern die das Haar eher schmücken als verhüllen ebenso zum Stadtbild wie Boutiquen mit Luxusgütern von Armani, Dolce & Gabbana oder Bulgari. Hollywood Filme und westliche Literatur sind genauso anzutreffen wie die neuesten CDs von Rihanna, Adele und Lady Gaga.
Widersprüche
All dies scheint in Widerspruch zu stehen mit der Tatsache, dass die iranische Zensurbehörde eigentlich über jeden Film, jedes Buch und jedes Gemälde wacht. Dennoch schaffen sich Künstler, Blogger und Journalisten ihre eigenen Räume und versuchen sich durch das Internet der Zensur zu entziehen, denn die Kontrolle journalistischer und kultureller Aktivitäten ist seit Einzug desselben weitaus schwieriger geworden. Legt man den Fokus allein auf die iranische Hauptstadt, in der es mehr als 4000 Internetcafés und nahezu zehn Millionen Menschen gibt, die jeden Tag mehrere Stunden im Internet sind, kann man erahnen, wie schwierig die Arbeit der iranischen Zensurbehörde sich tatsächlich gestaltet. Laut Bahman Nirumand sind alle Versuche eben dieser Behörde die Kommunikation via Internet zu kontrollieren bis dato gescheitert. Man habe zwar versucht mit Hilfe modernster Technik Internetseiten aus dem Westen, wie etwa den USA, zu filtern, gescheitert sei mal allerdings letztlich an der Tatsache, dass Termini, die von den Zensoren als obszön, moralisch verwerflich oder politisch verboten benannt wurden, ebenso zur Blockierung medizinischer und anderer wissenschaftlicher Texte führten. Nirumand konstatiert weiter, dass durch die Filterung eben dieser Begriffe neben den bereits genannten wissenschaftlichen Seiten auch diejenigen der Islamisten selbst blockiert wurden, sind diese es doch, die ebenso wie die Regimegegner das Internet nutzen, allerdings um ihre eigene Ideologie zu verbreiten. (Vgl.: http://www.bpb.de/internationales/asien/iran/40148/irans-zivilgesellschaft).
Entwicklung des Internets
Interessant diesbezüglich sind Aussagen iranischer IT-Experten, welche die eingeschränkte Entwicklung des Internets monieren und geltend machen, dass sowohl private Internetanbieter als auch Softwareentwickler in ihrer Entfaltung stark beeinträchtigt würden. Würde man eben deren Handlungsspielraum und ihre Entfaltungsmöglichkeiten ausdehnen, könnte der Iran alsbald zu einem der führenden IT-Länder gehören. (Vgl.: http://www.bpb.de/internationales/asien/iran/40145/internet-und-politik) Wie auf fast jeder Ebene der Globalisierung greift auch hier der Staat eher beschränkend als lenkend ein: Die Begrenzung von DSL-Verbindungen und die fehlende Infrastruktur hemmen das Vorankommen des Iran dementsprechend auch auf diesem Wirtschaftsgebiet.
Liberale Revolution
Wie es scheint versucht der iranische Staat derzeit mit finanziellen und personellen Ressourcen aufzuhalten, was langfristig kaum zu stoppen sein wird und die islamische Republik Iran bereits erfasst hat: die Globalisierung. Auch Gelder in Höhe von 1,5 Milliarden US-Dollar zur Förderung der muslimischen Moralität sowie personeller Aufwand in Form von religiösen Zentren, Rekrutierung weiterer streng Gläubiger zu Überwachung der als moralisch legitim erachteten Lebens- und Verhaltensweisen sowie zur Herstellung und Verbreitung schiitischer Texte, Filme und anderweitiger Kunst- und Kulturgüter werden der Globalisierung dauerhaft keinen Einhalt gebieten können, denn bereits in diesen Tagen durchzieht den Iran eine liberale, die Globalisierung fördernde Revolution.
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Literatur:
HANS HEINRICH BLOTEVOGEL: Die Globalisierung der Geographie. In: Hans Heinrich Blotevogel [u.a.]: Lokal verankert – weltweit vernetzt. Tagungsbericht und wissenschaftliche Abhandlungen. Stuttgart: Steiner, 2000. S. 15-29.
ANTHONY GIDDENS: Konsequenzen der Moderne. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1995.