Globalisierung in Armenien

Im Gebiet von Armenien liegt eine der ältesten Zivilisationen der Menschheitsgeschichte – bereits um 700 vor Christus hatte sich in dem gebirgigen Land zwischen dem heutige Iran und Georgien, das größtenteils über 1.800 Meter hoch liegt, eine weit entwickelte Hochkultur gebildet. Die Vorfahren der heutigen Armenier dürften in der Zeit zwischen 800 bis 600 vor Christus eingewandert sein, und sich mit der dort ansässigen Urbevölkerung größtenteils vermischt haben. Trotz dieses uralten kulturellen Erbes befand sich das kleine Land, das nur in etwa so groß wie Brandenburg ist, seit der Antike immer unter Fremdherrschaft. Seldschuken, Mongolen, Osmanen, Russen. Mehr als einmal wurde das Land dabei als Beute aufgeteilt, das letzte Mal zwischen Russland und der Türkei. Die kulturelle Identität und Eigenständigkeit der Armenier blieb dennoch immer unangetastet – etwas worauf das Land bis heute sehr stolz ist. Mit dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion wurde der russische Teil Armeniens Anfang der neunziger Jahre nach vielen Jahrhunderten wieder ein selbständiger Staat – der westliche Teil Armeniens verblieb dagegen weiterhin bei der Türkei.

Abwechslungsreiche Historie

Für die wechselvolle Geschichte des Landes sehr bedeutsam ist auch ein von Türken an Armeniern begangener grausamer Völkermord am Anfang des Jahrhunderts, sowie der anhaltende Konflikt um die Enklave Berg-Karabach, die schon zur Zeit des Sowjetregimes zur Aserbaidschanischen SSR gehörte, jedoch vorwiegend von Armeniern bewohnt wird. Schon während der Sowjetzeit gab es einige blutige Auseinandersetzungen um die Region, die von den Sowjets als autonomes Gebiet der Republik Aserbaidschan angegliedert wurde. Mit dem Zerfall des Sowjetreiches flammte der Konflikt erneut auf, und eskalierte während dem Beginn der neunziger Jahre zum blutigen Bürgerkrieg. Seit 1994 herrscht in dem nun von Armenien besetzten und zur unabhängigen Republik Bergkarabach erklärten Gebiet zwar ein Waffenstillstand, eine tatsächliche Lösung ist aber bislang nicht gefunden. Die Unabhängigkeit des Gebiets wird bislang auch weder vom Europarat noch von der UN anerkannt. Trotzdem hat Bergkarabach seit 2006 eine eigene Verfassung und eine eigene Regierung. Die Verhandlungen zwischen Armenien und Aserbaidschan über den endgültigen Verbleib des Gebiets dauern aber immer noch an. Dieser Konflikt und der Abbruch aller diplomatischen Beziehungen und die Sperrung aller Verkehrswege mit dem Nachbarn Türkei wegen des an Armeniern verübten Genozids am Anfang des Jahrhunderts bringen Armenien heute in eine politisch sehr isolierte Lage, mit dem Voranschreiten der Globalisierung scheinen sich jedoch die unversöhnlichen Standpunkte innerhalb des Landes langsam aufzuweichen.

Entwicklung von der Sowjetrepublik zur Republik Armenien

Wie viele ehemalige SSR-Republiken hatte Armenien nach dem Zerfall des Sowjetregimes mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, und stand vor der Aufgabe ein völlig neues, demokratisches Staatssystem zu bilden. Dazu kamen in Armenien die vom verheerenden Erdbeben 1988 ausgelösten Schäden an der Infrastruktur des Landes, die zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit nur zu einem Bruchteil behoben waren. Für Armenien spricht, dass es als eine der wenigen ehemaligen SSR-Republiken eine Regierung gebildet hat, in der kein einziges Mitglied der früheren SSR-Verwaltung tätig ist. Mit vom Europarat geforderten und 1995 umgesetzten Verfassungsreformen, die die Rechte des Präsidenten zugunsten des Parlaments beschneiden, war somit erstmals ein durchaus stabiler und demokratischer Staat entstanden. 2008 kam es jedoch zu Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentschaftswahl und in der Folge zu Unruhen und Demonstrationen, die brutal niedergeschlagen wurden. Auf weiteren Druck des Europarats hin wurden weitere Reformen in vielen gesetzlichen Bereichen umgesetzt, die Schaffung einer tatsächlich unabhängigen Rechtssprechung im Land ist aber bis heute noch mangelhaft.

Wirtschaft

Die wirtschaftliche Entwicklung Armeniens seit der Unabhängigkeit wurde vor allem vom Konflikt um Bergkarabach und den Auswirkungen des Erdbebens von 1988 gebremst, Strukturschwächen, die sich durch die Umstellung vom planwirtschaftlichen auf ein marktwirtschaftliche orientiertes System ergaben, wirkten darüber hinaus ebenfalls hemmend auf die wirtschaftliche Entwicklung Armeniens. Mit Beginn des neuen Jahrtausends und der abgeschlossenen Privatisierung der bis dorthin staatlichen Wirtschaft fand jedoch ein solides Wirtschaftswachstum mit zum Teil zweistelligen Zuwachsraten statt, auch der Wechselkurs des armenischen Dram steigt stetig, vor allem durch den hohen Devisen-Fluss, den im Ausland lebende Armenier verursachen. Trotz aller positiven Entwicklungen hat Armenien aber lediglich den wirtschaftlichen Stand von 1988 nur knapp überschritten und ist in der Region immer noch mit Abstand eines der ärmsten Länder. Das während der Sowjetzeit für seine chemische und vor allem elektronische Industrie bekannte und als Reiseziel beliebte Armenien weist heute als selbständige Republik nur eine sehr schwach entwickelte Industrie auf, und kaum nennenswerten Tourismus. Die Handelsbilanz verbessert sich laufend, langsam greifen auch die infrastrukturellen Maßnahmen. Schulsystem und Gesundheitswesen leiden aber weiterhin vor allem unter dem Geldmangel, obwohl gerade in Armenien traditionellerweise der Bildung ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt wird.

Schrittweise Beilegung der Konflikte mit Türkei und Aserbaidschan

Auch im Konflikt mit der Türkei und Aserbaidschan zeichnen sich – langsam, aber doch – Lösungen ab, eine Normalisierung der Beziehungen wird angestrebt und eine erste Wiederöffnung der Verkehrswege in Richtung Türkei und Aserbaidschan ist in Sicht. Nach einem schon seit Generationen anhaltenden Konflikt scheint nun langsam ein Ende der Feindseligkeiten in Sicht zu sein. Unter dem Druck der Globalisierung scheint die Aufrechterhaltung des Konfliktes um jeden Preis nunmehr sinnlos. Auch hier hat die Globalisierung also vor allem positive Wirkung auf Schaffung und Wahrung des Friedens und eine bessere Völkerverständigung selbst bei konfliktbeladenen Verhältnissen.

Bis zu einer endgültigen Lösung des Konflikts vor allem um Bergkarabach wird aber vermutlich noch eine lange Zeit vergehen – Armenien behält sich die Anerkennung der selbständigen Republik Bergkarabach bislang immer noch vor, für den Fall dass die Verhandlungen mit Aserbaidschan am Ende doch scheitern. Bergkarabach selbst konnte seine Wirtschaft und seine politischen Strukturen in den letzten Jahren trotz versagter internationaler Anerkennung mit wirtschaftlicher Hilfe vor allem aus den USA deutlich konsolidieren, auch in der nunmehr de-facto-autonomen Republik ist ein deutliches Wirtschaftswachstum zu verzeichnen.

Auswirkungen der Globalisierung auf die armenische Diaspora

Mehr als zwei Drittel aller Armenier leben im Ausland, in vielen einzelnen Gemeinschaften und sind praktisch in allen Ländern der Erde zu finden. Die gemeinsame kulturelle Identität, das verbindende kulturelle Erbe und der traditionelle armenische Nationalstolz halten diese Gemeinschaften teilweise seit vielen Jahrzehnten zusammen. Für die armenische Wirtschaft ist vor allem das Geld, das von in der Diaspora lebenden Armeniern an Familienangehörige im Land fließt, von großer wirtschaftlicher Bedeutung, weil es in hohem Maße zur Stabilisierung und zur Aufwertung der heimischen Währung Dram beiträgt. Aufgrund der sehr starken Familienbande innerhalb armenischer Familien haben viele Armenier immer noch eine sehr enge Bindung an das Mutterland. Auch in Zeiten der immer stärker werdenden Globalisierung und kulturellen Angleichung halten sie selbst in der Diaspora an ihren überlieferten Kulturtraditionen und ihrer kulturellen Identität unverbrüchlich fest. Das kann auch als ein weiterer Beweis dafür dienen, dass die durch die Globalisierung verursachte Angleichung der Kulturen an eine zentraleuropäische und amerikanische Leitkultur nicht zwangsläufig zur vollständigen Auflösung traditioneller Kultur und Lebensweise führen muss, sondern allenfalls eine Ergänzung und einen gemeinsamen kulturellen Horizont darstellt.

Mit weiterer wirtschaftlicher Entwicklung und der endgültigen Beilegung der historischen Konflikte wird auch Armenien in der Lage sein, sich als gleichberechtigter Partner mit erhaltener kultureller Eigenständigkeit in die weltweite Gemeinschaft harmonisch einzufügen – etwas, das diesem uralten Kulturvolk während der letzten dreitausend Jahre versagt geblieben ist.

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