Globalisierung in den Niederlanden
Der Begriff der Globalisierung steht für das wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Zusammenwachsen der verschiedenen Regionen und Gesellschaften der Erde. Dieser Prozess hat besonders in den letzten Jahren starke Fortschritte gemacht und wird noch längere Zeit bis zu seiner Vollendung dauern. Handelsnetze entwickelten sich schon in vorgeschichtlicher Zeit und früh gab es Kontinente verbindende Warenströme, als Metalle, Edelsteine, Weihrauch und andere Kostbarkeiten gehandelt wurden. Die erste wirklich intensive Phase eines weltweiten Handels und dem Zusammenwachsen von Märkten begann erst in der Renaissance und die Niederlande gehörten schon im 16. Jahrhundert zu den Pionieren der ersten wirklichen Globalisierung.
Technische Voraussetzungen für globalisierten Handel
Sowohl eine fortschrittliche Schiffstechnik, als auch die für ihre Zeit modernste Kartografie waren seit ihren Anfängen im 14. und 15. Jahrhundert in den Niederlanden zuhause und bildeten die technische Grundlage für die bevorstehende Globalisierung der niederländischen Wirtschaft. Portugal spielte zwar unter Heinrich dem Seefahrer und seiner Forschung und Entwicklung auf diesen Gebieten eine technische Vorreiterrolle, verlor aber schnell seine führende Position in Nautik und Schiffbau an die Niederlande. Diese hatten es in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bereits zu erheblichem Wissen im Wasserbau gebracht und ihre Ingenieurskunst strahlte auch auf den Schiffbau und die nautischen Wissenschaften aus.
Mit ihren Schiffbaustandorten an der Rheinmündung waren die Niederländer direkt an die Versorgung mit hochwertigem Schiffbauholz angebunden, das damals auf Flößen vor allem aus dem Schwarzwald besonders einfach und preisgünstig in großen Mengen in die Niederlande transportiert werden konnte. Niederländische Schiffe wurden schnell zu einem begehrten Exportgut. So lieferten die Niederlande Schiffe an Spanien, mit denen die Eroberung Amerikas avisiert wurde. Zur gleichen Zeit katapultierten Wissenschaftler, wie der in Flandern geborene Theologe und Mathematiker Gerard de Kremer, besser bekannt unter seinem Kartografennamen Mercator, die Niederlande an die Spitze der damaligen nautischen Wissenschaften.
Liberalisierung als wichtige Voraussetzung für globalen Handel
Auch eine allgemeine Liberalisierung bereitete den politischen und gesellschaftlichen Boden für den späteren globalen Handel der Niederlande. Durch das gesamte 16. Jahrhundert hindurch hatten die Niederländer ein Staatswesen aufgebaut, das sich in fast allen Dingen bereits nach den neuesten Erkenntnissen der Renaissance richtete, während andere Nationen noch in der Denkweise des Mittelalters verharrten. Die Reformation hatte viel gesellschaftliche Toleranz hervorgebracht und der gesellschaftliche Umgang war nicht zuletzt durch die Erfahrungen der Niederlande im Unabhängigkeitskrieg gegen die spanische Besatzungsmacht demokratischer geworden. Politisch hatten sich die Niederländer bereits Ende des 16. Jahrhunderts für die Republik entschieden. Diese Liberalisierungen in Staat und Gesellschaft wirkten sich auch in der Wirtschaft aus und es wurde in merkantilistischer Manier eine arbeitsteilige Wirtschaft aufgebaut, die höchst effizient und schlagkräftig funktionierte. Die gute wirtschaftliche Verfassung der Niederlande war also damals dem gleichen liberalen Geist zu verdanken, der auch heutzutage die wirtschaftliche Globalisierung antreibt.
Moderne Wirtschaftsorganisation förderte die Globalisierungstendenzen
Die liberale Organisation der niederländischen Wirtschaft des ausgehenden 16. Jahrhunderts hatte mehrere Effekte, die den Globalisierungsdrang der Niederländer schnell auslösen bzw. verstärken sollten. Die gute Wirtschaftslage sorgte für eine exzellente Versorgung der Niederländer selbst, was sich in beschleunigtem Bevölkerungswachstum niederschlug und bei dem damals noch enger begrenzten Siedlungsraum der Niederländer zu beengten Verhältnissen führte. Gleichzeitig produzierte man mit der florierenden Wirtschaft große Warenüberschüsse, die sich ideal für weitere Geschäfte im Exporthandel eigneten. Eine begrenzte Menge Ackerland und schlechte Böden konnte die wachsende Bevölkerung der Niederlande nicht ernähren. Die Niederlande mussten daher Nahrungsmittel importieren, was sie zum Fernhandel zwang und ihnen weitere Erfahrungen im Aufbau von Handelsstrukturen über große Distanzen hinweg brachte. Um die importierten Nahrungsmittel zu bezahlen, verlegten sich die Niederländer auf die Veredelung vieler importierter Erzeugnisse wie Flachs oder Wolle, die gute Exporterlöse ermöglichten. Dadurch unterschied sich der niederländische Handel zu dieser Zeit auch wesentlich von dem anderer Länder. Während sich andere fast wie im vorgeschichtlichen Handel auf besonders kostbare Handelswaren in kleinen Mengen konzentrierten, handelten niederländische Kaufleute schon mit typischen Massenwaren. Dadurch glichen die Waren und die für den Transport notwendige Logistik schon sehr stark den Warenströmen und Logistikeinrichtungen, wie man sie heute im globalisierten Handel kennt.
Der Zuzug vieler erfahrener Kaufleute, die im späten 16 Jahrhundert in die Niederlande flohen, war ein weiter Faktor, der damals die Entwicklung eines globalisierten Handels antrieb und ihn auch heute noch so befeuert. Diese Gruppe hatte nicht nur Erfahrungen, Wissen und Kapital zum Aufbau globaler Strukturen angesammelt, sondern brachte auch den Durchsetzungswillen und das Machtstreben mit, um den globalen Handel tatkräftig aufzubauen. Mit heutiger Terminologie könnte man diese Leute als die unternehmerische Elite bzw. als Top Manager bezeichnen, die mit Initiative und Tatkraft die Globalisierung vorantreiben. Und auch hier zeigen sich deutliche Parallelen zur modernen Entwicklung der globalen Wirtschaft.
Motive und Mittel zur Globalisierung
So ergab sich aus einem Gemisch von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, persönlichen und sogar religiösen Motiven, die Zukunft der Niederlande in globaler Expansion zu sehen. Die Auswanderung in fremde Länder minderte den Bevölkerungsdruck und gleichzeitig konnte man mit dem Verkauf von Überschüssen den Reichtum mehren, was übrigens für gewisse protestantische Strömungen in Holland durchaus auch aus religiösen Gründen positiv gesehen wurde. Darüber hinaus konnte man Macht in neuen Territorien erwerben. Und die Niederlande verfügten mit Schiffen, nautischem Wissen, Kapital und Führungskräften auch über die Mittel zum Aufbau globalisierter Strukturen. Als die Niederländer sich dann Ende des 16. Jahrhundert auch noch endgültig von Spanien unabhängig gemacht hatten, hatten die Niederlande dann auch noch die politische Entscheidungsfreiheit gewonnen, um den niederländischen Handel global zu organisieren.
Dimensionen der frühen niederländischen Globalisierung und ihre Folgen
Die Niederlande markierten als eine der ersten Nationen der Welt den Wandel von überwiegend regional orientierten Formen des Wirtschaftens zum globalen Handel. Dabei stießen die Niederländer schnell in Dimensionen vor, die sogar nach den Maßstäben späterer Zeiten gewaltig waren. 1602 wurde mit der VOC die niederländische Ostindien Gesellschaft gegründet, die ihren Sitz in den niederländischen Städten Amsterdam und Middelburg nahm und die Handelsbeziehungen bis in den Fernen Osten ausdehnen sollte. Nur wenige Jahrzehnte später verfügten die Niederlande über ein weltumspannendes Netzwerk aus Handelsstützpunkten und größeren Besitzungen, das praktisch den gesamten indischen Ozean bis Kapstadt im Süden, den pazifischen Raum bis nach Japan und Australien und große Teile der Karibik umfasste.
Zur Aufrechterhaltung ihres globalen Handelsnetzes stützten sich die Niederlande unter anderem auf die VOC Flotte von über 4.700 Schiffen, die globale Distanzen bewältigen konnten. Insgesamt transportierte die Flotte der VOC mehr als eine Million Menschen, was angesichts der viel kleineren Weltbevölkerung schon damals zu spürbaren gesellschaftlichen Folgen der Globalisierung geführt hat. Die Veränderung der Esskultur durch den Import neuer Pflanzen oder der Export europäischer Religionen sind frühe Beispiele für den enormen gesellschaftlichen und kulturellen Wandel, den globales Reisen und Wirtschaften in wenigen Jahrzehnten hervorrief. Welche Folgen der Aufbau des globalisierten Handels innerhalb von 100 Jahren auf eine Stadt haben kann, zeigt die Entwicklung der Stadt Amsterdam. Im Jahre 1580, also noch vor dem Beginn des globalisierten Handels durch die VOC, umfasste die Einwohnerschaft der Stadt etwa 30.000 Personen. Die globale Ausbreitung der Handelsaktivitäten begann ca. 20 Jahre später und schon im Jahre 1680, also innerhalb von nur hundert Jahren, hatte sich die Einwohnerzahl Amsterdams auf 200.000 fast versiebenfacht und wuchs weiter. Hauptursache für diesen starken Bevölkerungszuwachs, war interessanterweise ein starker Zuzug von Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen von der Stadt Amsterdam angelockt wurden. Wie man an diesem Beispiel sieht, scheinen wirtschaftlich motivierte Migration und verstärkte Urbanisierung der Gesellschaft damals wie heute ziemlich automatische Folgen der Globalisierung zu sein.