Globalisierung in der Schweiz
In vielerlei Hinsicht ist kaum ein anderes Land ähnlich gut auf die Globalisierung vorbereitet wie die Schweizerische Eidgenossenschaft. Denn das Land setzt sich seit Jahrhunderten aus Kantonen zusammen, in denen vier verschiedene Sprachen gesprochen werden. Trotz der unterschiedlichen Kulturen bilden die Kantone gemeinsam eine äußerst erfolgreiche Eidgenossenschaft in Form einer Willensnation. Denn die Eidgenossenschaft besteht aus verschiedenen Völkern, die einzig der Wille eint, gemeinsam einen Staat zu bilden. Diese kulturelle Vielfalt ist einer der Gründe, weshalb viele wichtige internationale Organisationen gerade hier ihren Sitz haben. Bereits der Vorläufer der Vereinten Nationen, der Völkerbund, hatte seinen Sitz in Genf. Heute befindet sich dort nicht nur die Zentrale der World Trade Organization (WTO), sondern auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Weltpfadfinderorganisation (WOSM), der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen sowie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Außerdem unterhält die UNO hier eines ihrer Büros, von denen es weltweit nur vier gibt. Der Weltfußballverband FIFA hat seinen Sitz in Zürich und Internationale Olympische Komitee in Lausanne. Hinzu kommen eine Reihe von multinationalen Konzernen, deren Hauptsitz sich in der Schweiz befindet (Nestlé, Novartis, ABB, Swatch und andere) sowie die international bestens vernetzte Schweizer Bankenwelt.
Die legendäre Schweizer Neutralität beginnt zu bröckeln
In wirtschaftlicher wie kultureller und sportlicher Hinsicht ist die Schweiz in vielfältiger Weise international angebunden. In krassem Widerspruch hierzu steht die Politik der Schweizerischen Eidgenossenschaft, welche sich seit jeher an der Richtlinie strikter außenpolitischer Neutralität orientierte. Aus dieser Selbstauffassung heraus trat die Schweizerische Eidgenossenschaft beispielsweise erst im Jahre 2002 den Vereinten Nationen bei. Der Eintritt erfolgte aufgrund einer Volksabstimmung. Die Schweiz ist damit der erste Staat, der in dieser Weise über den Beitritt zur UNO befunden hat. Je weiter sich die Europäische Union entwickelte, desto enger wurden auch die Beziehungen der Eidgenossenschaft mit dieser Institution. Doch auch in anderer Hinsicht gerieten die Schweizer nach dem Ende des Kalten Krieges wieder stärker ins Blickfeld der internationalen Staatengemeinschaft. Denn während sich osteuropäische Staaten darum bemühten stärker an die im Westen vorhandenen Strukturen eingebunden zu werden, spielte die Schweiz weiterhin ihre politische wie militärische Sonderrolle.
Probleme in der 90ern
Insbesondere als es Mitte der Neunziger Jahre um die Aufarbeitung des während des Zweiten Weltkrieges aus dem Nationalsozialistischen Deutschland in die Schweiz transferierten Raubgoldes ging führte dies zu Problemen. Denn die Eidgenossenschaft hatte in der Bearbeitung außenpolitischer Krisen keinerlei Erfahrung. Der letzte gewichtige außenpolitische Akt der Schweizer vor dieser Krise war die Schlacht der Eidgenossen gegen Frankreich im Jahre 1515 bei Marignano gewesen. Ähnlich unbeholfen wirkt der Umgang der Schweiz mit dem immer größer werdenden internationalen Druck wegen der bei Schweizer Banken unterhaltenen Schwarzgeldkonten.
Hier hat sich die Schweiz erst nach langem Zögern und der Androhung von Sanktionen dazu bereit erklärt, mit einzelnen Ländern Abkommen über die Kooperation in Steuerstrafsachen abzuschließen. Gleichwohl fällt es der Schweiz weiterhin schwer, von ihrer Sonderrolle in Europa zu lassen. Nachdem mehrere Volksabstimmungen sich klar gegen einen Beitritt der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu Europäischen Union ausgesprochen hatten (zuletzt im Jahre 2001, als lediglich 23 Prozent der Schweizer einen Beitritt befürworteten), ist der schweizerische Bundesrat 2006 vom strategischen Ziel eines Beitritts abgerückt und sieht diesen lediglich als Option. Die fortschreitende Globalisierung und Einigung Europas zwingt die Schweiz aber zu immer neuen Verträgen mit der EU, welche vielfach durch Volksabstimmungen bestätigt werden.
Die Wirtschaft profitiert von der Globalisierung
Als verhältnismäßig kleines Land mit wenig eigenen Rohstoffen ist die Schweiz seit jeher auf einen regen Im- und Export angewiesen. Außerdem führen durch die Schweiz einige der wichtigsten Verbindungswege zwischen Nord- und Südeuropa. Als Transitland profitiert die Schweiz genauso von der Globalisierung wie beim Tourismus. Verlierer dieser Entwicklung sind die schweizerische Landwirtschaft, die mit den Preisen auf den Weltmärkten nicht konkurrieren kann sowie Branchen wie die Textilindustrie. Deren Produktion wird, wie überall auf der Welt, zunehmend in Billiglohnländer ausgelagert. Auch in anderen Branchen sinkt die Zahl der Beschäftigungsmöglichkeiten für gering qualifizierte Arbeitnehmer, weil in der Schweiz genauso wie in anderen Staaten der westlichen Welt immer weniger einfache Güter hergestellt werden. Gleichzeitig steigen durch die Globalisierung die Berufschancen auch für hochqualifizierte Schweizer auf dem internationalen Arbeitsmarkt. Außerdem wird in der Schweiz eine Reihe von Erzeugnissen für den weltweiten Handel hergestellt. Neben Präzisionswerkzeugen und hochwertigen Uhren zählen hierzu auch Medizintechnik und Medikamente. Hinzu kommen die Schwergewichte der Schweizer Finanzwelt sowie eine starke IT-Branche.
Die Schweiz profitiert von der Globalisierung
So sehr die Schweizer auch ihre althergebrachte Lebensart und ihr Staatswesen durch die Globalisierung gefährdet sehen, so sehr profitieren sie andererseits wirtschaftlich von eben dieser Globalisierung. Denn die Schweiz verfügt über als kleines Land auch nur über einen sehr begrenzten Binnenmarkt und ist zudem von Rohstoffimporten abhängig. Je mehr Handelsschranken weltweit abgebaut werden und je weiter die Integration Europas voranschreitet, desto mehr wird sich auch die Schweiz den neuen internationalen Gegebenheiten anpassen müssen. Gleichzeitig ist es kein Wunder, dass eine solch große Zahl internationaler Konzerne und Institutionen von der Schweizerischen Eidgenossenschaft aus gelenkt werden. Denn die Zurückhaltung auf politischem wie internationalem Parkett hat zu einem Jahrhundert währender Stabilität geführt, die sich in einem funktionierenden Staatswesen, einem hervorragenden Gesundheits- und Bildungssystem sowie einer guten Infrastruktur und Arbeitsmarktlage niedergeschlagen hat. Insofern kann die Schweiz darauf setzen, dass die fortschreitende Globalisierung weniger Risiken als vor allem neue Chancen für sie bereit hält.