Globalisierung in Litauen
Für die ehemalige Sowjetrepublik Litauen standen die Zeichen nicht gut: Mit der Umstellung von der Plan- auf die Marktwirtschaft fand eine Destabilisierung der Wirtschaft statt, die dem Land seit der Unabhängigkeit 1991 schwer zu schaffen gemacht hat. Der bisher hoch subventionierte Fischfang in der Ostsee war unwirtschaftlich geworden, Industriebetriebe gab es kaum. Doch mehr als 20 Jahre dem Ende der Sowjetunion kann sich das Baltikum in der Globalisierung behaupten. Während der Russlandkrise in den 90er Jahren leitete die Regierung einen prowestlichen Kurs ein, der schließlich im Jahre 2004 in der Mitgliedschaft in der EU gipfelte. Damit gingen nicht nur eine Reihe von Subventionen und Finanzhilfen zum Aufbau der Infrastruktur einher, es ermöglichte auch den Zugriff auf den westeuropäischen Markt. Der Standortvorteil liegt in den geringen Lohnkosten, die eine Fertigung deutlich günstiger macht als in Westeuropa – ein litauischer Durchschnittslohn liegt je nach Region etwa zwischen 300 und 500 Euro.
Regierung möchte gutes Investitionsklima schaffen
Die derzeitige Position des Landes lässt sich daher auch weitaus positiver bewerten: Die geographische Lage ist günstig, neben der Anbindung die Ostsee schlägt Litauen eine Brücke zwischen der Europäischen Union und dem russischen Wirtschaftsraum. Im Gegensatz zu einigen anderen ehemaligen Sowjetrepubliken ist es den litauischen Regierungen tatsächlich gelungen, die Korruption im Staatswesen zu bekämpfen und eine effektive Verwaltung zu schaffen. Außerdem sorgt die EU-Mitgliedschaft für Rechtssicherheit bei ausländischen Investoren, die ohnehin schon EU-Recht gewohnt sind. Die grundlegende Frage, ob sich das Land eher dem Westen öffnen sollte oder weiter Partner Russlands bleiben wollte, stellt sich bereits seit den 90er Jahren nicht mehr – anders als beispielsweise derzeit noch in der Ukraine. Der Grund dürfte darin liegen, dass die Russen seit nach dem 2. Weltkrieg ohnehin bei einem großen Teil der Bevölkerung den Status einer Besatzungsmacht genossen. Für die in Litauen angesiedelten Russen bedeutet dieser Umstand einen erheblichen gesellschaftlichen Nachteil. Denn die etwa 5% noch verblieben Russen sind geächtet und vermutlich deshalb auch überdurchschnittlich häufig von Arbeitslosigkeit betroffen – die Russen in Litauen bleiben damit eindeutig die Verlierer der Globalisierung.
Wirtschaftskrise macht Litauen zu schaffen
Immer noch ist Arbeitslosigkeit ein Problem im Land: War die Arbeitslosenquote nach dem wirtschaftlichen Aufstieg im Jahre 2007 auf 3,5% zurückgegangen, suchen derzeit fast 15% der arbeitsfähigen Litauer nach einer Anstellung. Dabei dürfte die Dunkelziffer noch weitaus höher sein. Denn wegen der geringen Sozialleistungen melden sich viele Litauer gar nicht erst arbeitslos – sie hätten ohnehin keine Leistungen zu erwarten. Und so zeigt sich, dass die Globalisierung auch vor Litauen nicht haltmacht: Weil die Wirtschaft als verlängerte Werkbank der westeuropäischen Industrienationen fungiert, werden die Kapazitäten in Krisenzeiten schnell verringert – mit fatalen Folgen. Während Deutschland die eigenen Betriebe mit Kurzarbeitergeld und Konjunkturprogrammen stützen konnte, wurden Fertigungseinrichtungen in Litauen einfach geschlossen. Globalisierungskritiker gehen davon aus, dass auch das liberale Arbeitsrecht einen großen Anteil daran trägt. Ein Kündigungsschutz existiert beispielsweise kaum. Die Folge davon ist, dass etwa 16% der Litauer in Armut leben, darunter sogar 3% in extremer Armut. Ob sich die Pläne der Regierung, einen Sozialstaat nach westlichem Vorbild aufzubauen, tatsächlich umsetzen lassen, bleibt in der jetzigen Situation eher fraglich. Denn trotz Haushaltskonsolidierung stieg die Verschuldung des Landes während der Wirtschaftskrise deutlich: Während die Verschuldung im Jahre 2005 noch 16,9 % des BIP betrug, meldete die Europäische Union 38,5% Ende 2011 – was mehr als einer Verdoppelung entspricht.
Abwanderung von Facharbeitern schadet Wirtschaft
Viele junge Litauer wandern deshalb nach Westeuropa aus. Seitdem die Begrenzungen der osteuropäischen Mitgliedsländer bei der Freizügigkeit für Arbeitnehmer gelockert wurden, ist die Anzahl der Auswanderer deutlich angestiegen. Zunächst mag dieser Umstand wie ein Glücksfall für das Land erscheinen: Die Arbeitnehmer sind im eigenen Staat nicht arbeitslos, sondern arbeiten im westlichen Ausland für einen deutlich höheren Lohn – und schicken das Geld an die Familien. Auf lange Sicht gesehen ist eine solche Entwicklung allerdings problematisch. Denn besonders leistungsfähige, junge Facharbeiter werden benötigt, um eine stabile Wirtschaft aufzubauen, die auch der Globalisierung standhält. Eine Abwanderung sorgt dafür, dass Know-how verloren geht.
Litauen stellt sich internationalem Wettbewerb
So bleibt am Ende fraglich, ob Litauen seine selbst gesteckten Ziele zur Modernisierung des Landes tatsächlich umsetzen kann. Zwar sind mithilfe der EU Gelder in die Infrastruktur geflossen, die auch an richtiger Stelle investiert wurden; trotzdem ist es bisher nicht gelungen, eine robuste Wirtschaft zu errichten. Der Einbruch des BIP von etwa 15% im Jahre 2009 zeigt deutlich, dass das Land bei ausländischen Partnern derzeit einen Status als verlängerte Werkbank genießt – auf die sich im Bedarfsfall schnell verzichten lässt. Wegen der geringen Sozialleistungen werden viele Litauer hart davon getroffen, doch besonders die russische Minderheit sieht sich mit Arbeitslosigkeit konfrontiert. Der Anteil der der Bevölkerung, die unterhalb der Armutsgrenze lebt, ist mit 16% seit Jahren hoch. Mit einem günstigen Investitionsklima plant die litauische Regierung, den baltischen Staat wieder auf Erfolgskurs zu bringen. Behilflich sein sollen dabei besonders geringe Unternehmenssteuern: Mit etwa 95% wird in Litauen fast der gesamte Staatshaushalt durch die Einkommenssteuer getragen.