Soziokulturelle Globalisierung
Die soziokulturelle Globalisierung ist ein Teilbereich der Globalisierung und kann als weltweite Vernetzung unterschiedlicher Gesellschaften und Kulturen beschrieben werden. Eine einheitliche wissenschaftliche Definition des Begriffes gibt es bislang nicht, die soziokulturelle Globalisierung kann jedoch unter verschiedensten Aspekten und aus unterschiedlichen Blickwinkeln beschrieben, analysiert und bewertet werden.
Die Wurzeln der soziokulturellen Globalisierung
Der Begriff Globalisierung ist erst in den letzten Jahren in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Vielfach wird dabei der Eindruck vermittelt, als sei die Globalisierung ausschließlich ein Phänomen der unserer Gegenwart. Wissenschaftler aller Fachrichtungen sind sich jedoch einig, dass die Vorgeschichte der Globalisierung dabei hilft, Zusammenhänge und Wirkweisen, aber auch Perspektiven insbesondere der soziokulturellen Globalisierung zu beschreiben. Eine ganze Reihe soziokultureller und ökonomischer Phänomene können demnach als Wurzeln unserer heutigen Globalisierung begriffen werden. Dazu gehört die umfassende Industrialisierung ebenso wie die Beschleunigung des Warenverkehrs und des internationalen Handels durch Eisenbahnen und Dampfschiffe. Frühe Formen einer beschleunigten Kommunikation durch Telegrafie und Telefon sind hier ebenso zu nennen, wie der weltweite Einfluss der europäischen Kolonialmächte und die bereit im 19. Jahrhundert starke Bedeutung der weltweiten Rohstoffvorkommen.
Die Voraussetzungen der heutigen Globalisierung wurden also bereits mit den umfassenden Transformationsprozessen des 19. Jahrhunderts geschaffen. Ein Beispiel: Die Veränderung der Bevölkerungsstruktur in Deutschland wird heute z.B. häufig im Zusammenhang mit dem Wirtschaftswunder der 1950er Jahre erklärt, hat ihre Wurzeln aber ebenfalls bereits Ende des 19. Jahrhunderts. Die industrielle Entwicklung nahm vor allem im Ruhrgebiet einen rasanten Verlauf und auch damals schon konnten die notwendigen Arbeitskräfte nicht allein aus der einheimischen Bevölkerung rekrutiert werden. Es waren vor allem polnische Arbeiter und ihre Familien, die um die Jahrhundertwende den Weg nach Deutschland fanden. Sie trugen nicht nur ihr Teil zum wirtschaftlichen Aufschwung bei, sondern prägten auch die noch heute legendäre und unverwechselbare Fußballkultur im „Revier“. Auch die typischen Familiennamen wie Kruska, Kuzorra oder Schablowski sind besonders im Ruhrgebiet erhalten geblieben.
Wirtschaftliche Entwicklung, politische Veränderungen und ihre soziokulturellen Auswirkungen
Die soziokulturelle Globalisierung ist eng mit ökonomischen, aber auch mit politischen Entwicklungen verbunden. Viele interkulturelle Probleme, die heute in Großbritannien und Frankreich auftreten, sind unmittelbare Folge globaler Migrationsprozesse, die durch das Ende des British Empires und des französischen Kolonialreiches ausgelöst wurden. Regelmäßig berichten die Medien über „riots“ in den englischen Großstädten oder Jugendunruhen in den französischen „Banlieues“. Je deutlicher die – auch durch die Globalisierung mitbestimmte – wirtschaftliche Schere zwischen hochentwickelten Industriestaaten und Entwicklungsländern auseinanderklafft, desto drängender werden die humanen Herausforderungen, vor denen die Weltgemeinschaft steht. Menschen brechen aus den krisengeschüttelten Ländern dieser Welt auf , um in westlichen Demokratien ihr Glück zu suchen. Einwanderer aus den ehemaligen Kolonien, etwa vom indischen Subkontinent aus Nordafrika oder der Karibik bringen ihre Kultur, ihre Wertvorstellungen und nicht zuletzt ihre Sprache mit.
Die westlichen Länder waren und sind auf die Zuwanderungsströme und die damit verknüpften Probleme nur unzulänglich vorbereitet. Vorurteile und Ausgrenzung sind auch in einer globalen, aufgeklärten Welt noch längst nicht überwunden. Die Integration und Assimilation fremder Kulturen in westliche Gesellschaften ist eines der drängenden Probleme unserer Zeit. Die globale Gesellschaft tut sich schwer damit, neue gemeinsame Wege zu finden, die allen Beteiligten gerecht werden und eine gerechte Teilhabe am „globalen Kuchen“ ermöglichen.
Miteinander leben, voneinander lernen
Heute ist der Prozess der Globalisierung in ein neues, historisch wohl einmaliges Stadium seiner Entwicklung getreten. Wesentliche Triebfeder dabei ist die technologische Infrastruktur, die regionale und nationale Entwicklungen in einen globalen Zusammenhang stellt. Volkswirtschaften sind weltweit vernetzt, auch der hochspezialisierte Teile-Hersteller aus dem Dorf im Hunsrück kann sich einen Absatzmarkt in China erschließen. Rund um die Uhr und unaufhörlich werden weltweit Waren und Dienstleistungen ausgetauscht. Ein digitales Kommunikationsnetz generiert einen unablässigen Strom von Nachrichten, Daten, Fakten und Informationen. 24 Stunden am Tag kommunizieren wir in alle und aus allen Winkeln der Erde. Gleichzeitig werden die wirtschaftlichen und kulturellen Zentren der westlichen Welt für viele Menschen in ärmeren und armen Regionen zum Inbegriff und Maßstab für Wohlstand, Fortschritt und Entwicklung. Die soziokulturellen Auswirkungen dieser Entwicklung sind vielfältig und umfassen mittlerweile alle Aspekte des menschlichen Miteinanders. Die weltweiten Migrationsprozesse haben die demographische Struktur und das Aussehen der westlichen Großstädte grundsätzlich verändert. Essen, Trinken, Mode, alltägliche Dienstleistungen – im Kleinen wie im Großen bleibt nichts davon unberührt. Asiatisches Take away Food hat in London die traditionellen fish & chips vielerorts verdrängt und in Berlin ist der Döner schon längst populärer als die traditionelle Currywurst. In Frankreich beklagt man den Verlust der klassischen französischen Kochkunst als Folge der „Macdonaldisierung“ des Landes.
Wie produktiv und neugierig man mit soziokulturellen Veränderungen umgehen kann, zeigt z.B. die Kunst. Die 13. Dokumenta, die im Jahr 2012 in Kassel stattgefunden hat, stand ganz im Zeichen der Transformation. Künstler von Finnland bis China fanden unterschiedlichste Ausdrucksformen, um die Möglichkeiten, aber auch die Gefährdungen einer grenzenlos gewordenen Welt darzustellen.
Zwei Seiten einer Medaille
Die soziokulturelle Globalisierung hat in den westlichen Ländern zu einer bisher nicht gekannten Dynamik des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens geführt. Dazu tragen neben den Migranten vor allem auch die mittlerweile nahezu unbegrenzten touristischen Möglichkeiten bei. Schon in den 1950er Jahren eroberten die deutschen Wirtschaftswunderkinder die südlichen Länder Europas. Neben der Pizza und der Paella stand bald auch das Wiener Schnitzel in Rimini oder Gran Canaria auf der Speisekarte. Dachte man in Deutschland früher bei Bootsfahrten noch an den Rhein, Bodensee oder die Kieler Förde, stehen heute auch der Nil oder der Mekong und natürlich alle Weltmeere auf dem Fahrplan. Billigflugangebote in alle Welt lassen auch größte Entfernungen unbedeutend erscheinen und machen sie für viele Menschen erschwinglich. Diese Zunahme an Möglichkeiten wird in großen Metropolen durchaus als Steigerung der Lebensqualität empfunden – interkulturelle Aufgeschlossenheit und cross over sind politisch korrekt und gelten als cool.
Anders sieht die Situation in den Entwicklungsländern, aber auch in den sogenannten Schwellenländern aus. Was im Westen als Ausweitung und Differenzierung der eigenen Kultur begriffen werden kann, führt in Afrika und Asien und zunehmend auch in Lateinamerika zu einem Verlust sozialer und kultureller Identität und zu einer kulturellen und sprachlichen Verarmung.
Soziokulturelle Globalisierung – Vielfalt oder Nivellierung?
Ein wesentliches Problem soziokultureller Globalisierung besteht darin, dass Begegnung und gegenseitiger Einfluss der Kulturen nicht gleichberechtigt stattfinden. Die wirtschaftliche und kulturelle Dominanz der Industriestaaten, ihrer Wertvorstellungen, Lebensformen und ihrer Warenwelt birgt die Gefahr einer weltweiten Standardisierung des soziokulturellen Lebens. Die Bahnhöfe und die Flughäfen dieser Welt sehen sich immer ähnlicher, auf den ersten Blick kann man häufig nicht erkennen, in welcher Stadt man gerade gelandet ist. Auch die Architektur der Innenstädte, die Angebote in Geschäften, die Automarken, die Labels der Warenketten, die Einkaufspassagen in den Großstädten gleichen sich immer mehr an. Das mag praktisch sein – Reisende finden sich überall schnell zurecht – trägt aber auch zu einem Verlust der Vielfalt und Buntheit der Welt bei. In dieser eher unbemerkten „Vermengung“ der Kulturen hat sich die westliche Kultur als robuster und assimilationsfähiger erwiesen als die meisten Kulturen der Dritten Welt. Das Auftreten von Repräsentanten der wirtschaftlich immer einflussreicheren Schwellenländer ist von westlichem Selbstbewusstsein geprägt. Der Spitzenmanager aus China unterscheidet sich äußerlich kaum noch von seinem Business-Kollegen in London. Landestypische, traditionelle Kleidung, die zum Teil bei repräsentativen Anlässen noch getragen wird, hat fast schon folkloristisch-nostalgischen Charakter.
Weltweit wird die Entwicklung von expansiven, wirtschaftlichen Prozessen bestimmt. Die soziokulturelle Globalisierung bedeutet daher vor allem auch die Dominanz eines bestimmten vorherrschenden Lebensstils. Eine Entwicklung, die durch das lückenlose digitale Kommunikationsnetz noch verstärkt wird. Viele Menschen begreifen diese Entwicklung als einen Baustein auf dem Weg zu einer globalen demokratischen Zivilgesellschaft. Gleichzeitig nehmen aber die Skepsis gegen diese Nivellierung und Hegemonie einer einzigen weltweiten „Einheitskultur“ zu. Die globale Gesellschaft muss ihre Identität erst noch finden.