Neue Weltordnung
Die politische Welt unterliegt wie alles andere auf der Welt auch einer bestimmten Dynamik, die aber niemand voraussagen kann. Kommt es dann aufgrund unerwarteter Ereignisse zu einem tief greifenden Wandel in der Welt, fällt gelegentlich das Wort „die neue Weltordnung“. Geprägt wurde der Begriff von dem US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson. Nachdem das Deutsche Reich die alliierten Mächte um einen Waffenstillstand ersuchte, der 1918 auch in Kraft trat, fiel das Deutsche Reich als eines der militärisch und wirtschaftlich wichtigsten Staaten der Welt zugunsten der USA weg. Weil aber kriegsbereite, faschistische Strukturen sich in Europa bildeten, wie es sich in den folgenden Jahren noch zeigte, war Wilson darum bemüht, eine supranationale Institution unter den Namen Völkerbund zu schaffen. Ziel dieser Institution mit geschriebenem Recht sollte sein, erneute militärische Konfrontation vorzubeugen, indem andere Staaten diplomatisch intervenieren konnten. Diese Organisation, aus der später die heutige Organisation der Vereinten Nationen (UNO) hervorging, sollte der Auftakt einer neuen, friedlichen Weltordnung sein. Erst 70 Jahre später kam der Begriff einer neuen Weltordnung wieder in die Schlagzeilen. Nachdem die Sowjetunion sich Anfang der neunziger Jahre auflöste, endete aus Sicht der rivalisierenden USA der Kalte Krieg. Es war wieder ein US-Präsident, der anknüpfend an seinen Vorgänger, von einer neuen Weltordnung ohne permanente Kriegsgefahr sprach. Allerdings ging es George H. W. Bush sen. weniger um eine gänzlich gewaltfreie Welt, immerhin ließ der nächste (Golf-)Krieg nicht lange auf sich warten. Vielmehr erhob Bush mit seiner Feststellung einer neuen Weltordnung den Anspruch, dass die USA als einzig verbleibende Supermacht die Führung dieser neuen Weltordnung innehaben sollen. Das Ende der Sowjetunion und damit des Kalten Krieges war somit der Beginn der US-amerikanischen Hegemonialmacht. Doch bereits 20 Jahre nach dieser Forderung scheint es, dass es mit dieser Hegemonialmacht bald zu Ende sein wird. Das rasante Wachstum und die militärische Aufrüstung der Volksrepublik China gibt für viele allen Grund zur Annahme, dass die USA bald eine neue Supermacht an ihre Seite dulden müssen – sowohl in wirtschaftlicher als auch in militärischer Hinsicht.
IC-Report sieht neue Weltordnung mit vielen neuen Herausforderungen
Regelmäßig erstellen die 16 Nachrichtendienste der USA, die sich unter der Intelligence Community (IC) zusammenschließen, einen Report, über die die russische RIA Novosti berichtet, wie sich die Welt in den kommenden Jahren voraussichtlich ändern wird. Aus dem Bericht aus dem Jahr 2012 geht hervor, dass bis 2030 die Weltbevölkerung um mehr als eine Milliarde auf 8,3 Milliarden Menschen wachsen wird (2012: 7,1 Milliarden). Diese führe zu drastischen wirtschaftlichen Herausforderungen. Denn wegen der gleichzeitigen Urbanisierung und den Aufstieg von Schwellenländern wird die Nachfrage nach Lebensmitteln um bis zu 35 Prozent steigen. Die Nachfrage nach Trinkwasser und Energie wird sogar um bis zu 50 Prozent steigen, schreiben die US-Experten. Allerdings steht in dem Bericht auch geschrieben, dass die USA durch die Förderung von Schiefergas und -öl energieunabhängiger werden können. Bisher beziehen die USA ihre Öllieferungen vor allem aus dem Nahen Osten, weshalb sie – um die Sicherheit der Lieferungen zu gewährleisten – gezwungen sind, dort auch militärisch präsent zu sein.
Die Energieunabhängigkeit der USA hätte grob skizziert zwei große Konsequenzen. Erstens würde die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) ihre Monopolposition in der Gestaltung der Preise verlieren, wenn die USA zum weltgrößten Ölförderer aufsteigen würden. Zweitens würde der groß angelegte Abzug des US-Militärs aus dem Nahen Osten ein Machtvakuum auslösen, den andere Staaten zu füllen versuchen werden – allen voran der Iran, der eine Vormachtstellung als Regionalmacht für sich beansprucht. Sollte das saudische Königshaus die Unterstützung der USA verlieren und die Öl-Einnahmen abbrechen, so sei eine Revolution in der arabischen Monarchie zu befürchten. Das libysche Szenario zeigt, welche Konsequenzen dies haben kann. Hinsichtlich der steigenden Lebensmittelpreise vertrauen die USA auf Russland. Die Autoren vom IC schreiben, dass Russland rein theoretisch die Möglichkeit hat, durch die Diversifizierung seiner (Agrar-)Wirtschaft die steigenden Preise für Grundnahrungsmittel weitgehend dämpfen zu können. Mehr Sorgen machen sich die Autoren dagegen um China.
Bestärkt durch sein Wirtschaftswachstum erhebt China Herrschaftsansprüche
Während die westliche Welt und allen voran die USA unter den Folgen der Finanzkrise aus dem Jahr 2007 leiden, wächst die Volksrepublik unaufhaltsam. Was lange unmöglich schien, bezweifelt heute kaum noch jemand: Die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten bald von China als größte Volksrepublik und damit als Wirtschaftsweltmacht abgelöst werden. Schon heute sitzen die Chinesen auf die weltgrößten Devisenreserven. Allein die USA schulden der Volksrepublik derzeit eine Summe in Höhe von einer Billion US-Dollar, was die Chinesen zu dem größten Gläubiger der USA macht. Und genau hierin sehen die Experten der IC die größte Gefahr, die von China ausgeht. Sollten die Chinesen sich dazu entschließen, ihren auf US-Dollar lautenden US-Staatsanleihen zu veräußern, würden die Staatsanleihen der Amerikaner auf einen Schlag einen großen Teil ihres Wertes verlieren mit der Folge, dass sich die USA nur noch schwer und zu hohen Zinsen liquide Mittel beschaffen können werden. Allerdings scheint nach Meinung anderer Beobachter ein solcher Schritt eher unwahrscheinlich. Denn bei einem groß angelegten Verkauf von US-Staatsanleihen würden sich die Chinesen selbst schaden.
Denn je geringer der Wert der Papiere ist, desto geringer fallen die Erlöse auf chinesischer Seite aus. Gleichwohl haben die Chinesen immer wieder betont, den US-Dollar als alleinige Weltleitwährung nicht mehr akzeptieren zu wollen. Denn die Tatsache, dass beispielsweise fast der ganze Erdölhandel in US-Dollar abgewickelt wird, räumt den Amerikanern in diesem Bereich die Möglichkeit zur Währungsmanipulation ein. Immerhin kann die US-amerikanische Notenbank beliebig neue Banknoten drucken und so nicht nur die eigene Wirtschaft, sondern den globalen Erdölhandel beeinflussen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Aussage von Jiang Shixue, ein enger Berater der chinesischen Regierung, zu verstehen, als er dem „HANDELSBLATT“ sagte, China bemühe sich um ein gerechteres System, in dem auch die Interessen der Schwellenländer berücksichtigt werden. Im Klartext heißt das, China will die Hegemonialmacht des US-Dollars auf dem Weltmarkt nicht mehr hinnehmen. Auf der anderen Seite wollen die Chinesen eine zu starke Aufwertung ihrer Währung verhindern. Denn als Exportnation profitiert China am meisten, wenn sie aufgrund einer schwachen Währung seine Produkte günstig auf den (West-)Markt bringen kann, wie es derzeit der Fall ist.
Öffentliche Aufrüstung: Chinas Demonstration von (Militär-)Macht
Allerdings ist es nicht nur der wirtschaftliche Faktor Chinas, der für Beobachter der Beginn einer neuen Ära ist. Auch in militärischer Hinsicht wurden die Chinesen lange Zeit unterschätzt. Während die westliche Welt bisher von 100 bis 200 Atomsprengköpfen in den Händen der Chinesen ausging, ist heute klar, dass die Volksrepublik über ein groß angelegtes, unterirdisches Netz verfügt, wo geheime Interkontinentalraketen aufbewahrt werden, die im Kriegsfall auch die Ostküste Amerikas erreichen könnten. In derselben Zeit rüstet China einen von Russland gekauften Flugzeugträger mit neuesten, aus eigener Entwicklung stammenden Waffen aus. Dass die Chinesen dies öffentlich vor den Augen der Welt praktizieren, ist eine nicht falsch zu verstehende Botschaft an die jetzige Weltmacht: China will die Patronanz über Ostasien. Die Amerikaner haben diese Botschaft verstanden und ihrerseits erklärt, das neue (militärische) Hauptaugenmerk der USA gehöre nicht mehr dem Nahen Osten, sondern dem Pazifik.