Prieuré de Sion
Die Prieuré de Sion wurde am 7. Mai im Jahr 1956 durch Pierre Athanase Marie Plantard (der sich später auch Plantard de Saint-Clair nennen ließ) und André Bonhomme in der Stadt Annemasse gegründet, die in der Region Haute-Savoie im Südosten Frankreichs liegt. Ihren Namen verdankt die „Bruderschaft vom Berg Sion“ wohl eher dem Mont Sion in der Nähe von Annemasse als dem heiligen Zion, obgleich die Implikation wahrscheinlich von Plantard und Bonhomme durchaus beabsichtigt war. Die beiden Gründer folgten dem französischen Gesetz, das für alle öffentlich wirkenden Organisationen eine Registrierung vorschrieb, und hinterlegten ihre unterzeichneten Registrierungsdokumente samt Statuten bei der zuständigen Unterpräfektur von Saint-Julien-en-Genevois. Mit diesem bürokratischen Akt war die Prieuré de Sion, oder genauer: Prieuré de Sion Chevalerie d’Institution et Règles Catholiques d’Union Indépendante et Traditionaliste (kurz Circuit) geboren. Pierre Plantard fungierte den Dokumenten nach als Generalsekretär der Organisation und André Bonhomme als ihr Präsident.
Ebenfalls zu den Gründern der ursprünglichen Prieuré de Sion gehörten laut Aufzeichnungen noch Armand Defago, der als der Schatzmeister der Vereinigung aufgeführt wurde, und Jean Deleaval als ihr Vizepräsident. Doch von der späteren mystischen Ausprägung war die damalige Vereinigung, wenigstens in ihrem öffentlichen Auftreten, noch weit entfernt. André Bonhomme und Pierre Plantard, der zu dieser Zeit als technischer Zeichner arbeitete, hatten vielmehr die örtlichen Bauunternehmer im Visier und machten sich mit ihrer Arbeit für die Schaffung und den Erhalt von Billigunterkünften für Arme stark. Der Hauptsitz der Prieuré de Sion war damals Pierre Plantards Wohnhaus in der Sous-Cassan in Annemasse. Die frischgegründete Organisation betrieb auch eine Zeitung mit dem Namen Circuit. Doch schon gegen Ende des Jahres 1956 kamen die Aktivitäten der Prieuré de Sion zum Erliegen und ihre Zeitung wurde nach einem guten Dutzend Ausgaben eingestellt.
Die Reaktivierung der Prieuré de Sion
In den frühen 60-er Jahren wurde die Prieuré de Sion durch Pierre Plantard, der inzwischen in Paris lebte, wieder reaktiviert. Begleitet wurde diese Wiederauferstehung durch sechs Schriftstücke, die Henri Lobineau Geheimdossiers, die in den Jahren zwischen 1964 bis 1967 als anonyme Schenkungen an die Pariser Nationalbibliothek gingen. Diese Schriftstücke wurden von Plantard und dem Schriftsteller Philippe de Chérisey verfasst und dienten offenbar dem Zweck, dem neuen geschichtlichen und mythologischen Hintergrund, den Plantard seiner Organisation geben wollte, Gewicht und Authentizität zu verleihen. So enthielten die Lobineau Geheimdossiers unter anderem auch eine Genealogie des Geschlechts der Merowinger, die von Fachleuten heute als fiktiv abgetan wird, aus der Plantard jedoch für sich selbst Ansprüche auf den Thron Frankreichs ableitete. Daneben enthielten die Dossiers Andeutungen auf einen geheimnisvollen Schatz der Merowinger und der Templer. Dieser Templer-Schatz wird mit dem kleinen Dorf Rennes-le-Château in Verbindung gebracht. Nachweislich ist einer dieser Texte eine Nachbildung des Codex Bezae Cantabrigiensis (Codex Bezae), einer aus dem 5. Jahrhundert stammenden Niederschrift des Neuen Testaments, das Philippe de Chérisey und Plantard wohl aus einer alten Reproduktion kopierten. Gérard de Sède, ein Schriftsteller, der bereits einige Bücher über Rennes-le-Château und den dort angeblich verborgenen Schatz verfasst hatte, schrieb im Jahr 1962 gemeinsam mit Pierre Plantard ein Buch mit dem Titel „Die Templer sind unter uns“, in dem ein großer Teil der späteren Geschichte um die Prieuré de Sion, deren Verbindungen zu den Templern und dem geheimnisvollen Schatz der Templer bereits in Grundzügen angelegt war.
Die Prieuré de Sion gewinnt an Popularität
Ein weiterer wichtiger Schritt zu der Bedeutung, den die späteren Mythen um die Prieuré de Sion gewinnen sollten, waren gewiss die Bücher und Dokumentationen für den Fernsehsender BBC des britischen Autoren Henry Lincoln aus den frühen 70-er Jahren. Spätestens aber das Buch „Der Heilige Gral und seine Erben“, das Lincoln gemeinsam mit dem aus US-amerikanischen Autor Richard Leigh und dem aus Neuseeland stammenden Journalisten Michael Baigent schrieb, verhalf dem Mythos der Prieuré de Sion endgültig zu weltweiter Popularität. In diesem Buch sind endlich alle Bestandteile des Mythos versammelt: Die geheime Verbindung zwischen den Prieuré de Sion und den Tempelrittern wird ebenso enthüllt wie eine verborgene Blutlinie von Jesus von Nazareth, der mit Maria Magdalena Nachkommen gezeugt haben soll. Auch die Merowinger gehörten angeblich dieser exklusiven Blutlinie an. Die Spur führt auch hier nach Rennes-le-Château und zu einem geheimnisvollen Pfarrers namens Bérenger Saunière, der in seiner Kirche Manuskripte gefunden haben soll, die die Blutlinientheorie untermauern. Schließlich wird auch noch das Geheimnis um den heiligen Gral gelüftet, der in Wirklichkeit nichts weniger ist als diese heilige Blutlinie, die zu schützen wohl die wirkliche Aufgabe der Templer und der Prieuré de Sion war – zumindest wenn man der Argumentation der Autoren folgt.
Die geheimnisvolle Bruderschaft wird entzaubert
Etwa zwei Jahre nach dem Erscheinen von „Der heilige Gral und seine Erben“ folgte die Enthüllung, dass alles ein großer Schwindel gewesen sei. Ihr ging ein Streit zwischen Plantard und Jean-Luc Chaumeil voraus. Der Journalist Jean-Luc Chaumeil war ein Freund von Pierre Plantard gewesen, doch nach dem Bruch der Freundschaft verbreitete Chaumeil, wie die geheimen Henri Lobineau Dossiers in Wirklichkeit entstanden waren, und belegte seine Behauptungen mit Briefen Plantards, Sèdes und Chériseys, die seine Version zu bestätigen scheinen. Pierre Plantard versuchte noch, seine Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, unter anderem mit neuen Dokumenten, doch sein Ruf und der Ruf der Prieuré de Sion waren durch diesen Skandal schwer beschädigt. Später soll Plantard selbst zugegeben haben, dass alles nur ein Schwindel gewesen war. Bis zu seinem Tod im Jahr 2000 lebte er zurückgezogen in Paris und trat nicht mehr öffentlich in Erscheinung.
Der Mythos lebt weiter
Obgleich scheinbar ohne tatsächlichen historischen Hintergrund, hat sich der Mythos rund um die Prieuré de Sion und ihrer Rolle in der Geschichte längst verselbstständigt. Er ist zu einem festen Bestandteil im Reigen der modernen Mythen und Verschwörungstheorien geworden. Da war es wohl unvermeidlich, dass sich endlich auch die Pop-Kultur dieses Themas angenommen hat. Berühmtestes Beispiel dafür ist wohl der Roman „Sakrileg“ des amerikanischen Schriftstellers Dan Brown. Auch in dem beliebten „Gabriel Knight“-Computerspiel „Blut der Heiligen, Blut der Verdammten“ aus der Feder der Autorin Jane Jensen dreht sich die Handlung, um fantastische Elemente ergänzt und mit Vampirmythen verquickt, um Rennes-le-Château und die Prieuré de Sion.