Definition industrielle Revolution
Heute erhebt die westliche Welt, allen voran Europa, für sich den Anspruch, zu den zivilisiertesten Regionen der Welt zu gehören. Doch noch im 18. Jahrhundert sah dies gänzlich anders aus: Wo heute in Europa zivilisierte Ballungsgebiete mit Millionen Einwohnern stehen, herrschte vor nicht zu langer Zeit noch ländliche Armut. Die damals immer wieder auftretenden Hungersnöte kosteten viele Tausenden Europäern das Leben. Erst mit der industriellen Revolution kam in Europa sukzessiv der Allgemeinwohlstand auf. Unter der industriellen Revolution wird im engeren Sinn der Übergang einer Gesellschaft mit agrarwirtschaftlich eingestellter Orientierung zu einer industriellen Gesellschaft. Damit der Übergang glückt, waren diverse Voraussetzungen nötig, die die Lage in England am ehesten erfüllte. Deshalb gilt Großbritannien auch als Geburtsort der industriellen Revolution.
England und die industrielle Idee
Anders als in anderen Regionen Europas herrschte in England eine offenere Mentalität. Während beispielsweise im Heiligen Römischen Reich deutscher Nationen, dem Vorläufer des späteren Deutschen Reiches und der heutigen Bundesrepublik, eine konservative Einstellung vorherrschte, waren die Engländer wesentlich liberaler. Die Offenheit für den gesellschaftlichen Wandel gehört zu den grundlegendsten Voraussetzungen für eine (industrielle) Revolution. Aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen erlaubten Veränderungen. Beispielsweise gilt die in England im Jahre 1215 verkündete Magna Charta als eine der ersten Grundrechtserklärungen der Moderne, deren Artikeln 39 und 40 jeden Freien in England Bürgerrechte gegen Willkür des Adels zusprachen.
Diese Rechtssicherheit erlaubte es Erfindern, Unternehmen zu gründen, ohne befürchten zu müssen, später vom Staat enteignet zu werden. Zugute kam den Engländern aber auch das staatliche Imperium. Durch die Besatzung von Kolonien in Übersee hatten die Briten Zugriff auf sämtliche Rohstoffe, die sie für die industrielle Weiterverarbeitung benötigten. Ebenso dienten die Kolonien als bevorzugte Absatzgebiete, in denen sie keine Konkurrenz aus fremden Nationen zu befürchten hatten.
Industrialisierung durch Innovation
Damit es überhaupt zu einer industriellen Revolution kommen konnte, das heißt zum Wandel von einer landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft zu einer industriellen, waren einige Erfindungen entscheidend. Zu den Maßgeblichsten gehört die automatische Webmaschine, die das traditionelle britische Textilwesen urplötzlich zum Zugpferd der nationalen Wirtschaft werden ließ. Mit den mechanischen Webstühlen erhöhte sich nicht nur die Geschwindigkeit der Produktion, sondern vor allen Dingen auch die Qualität. Nicht zuletzt dies trug dazu bei, dass englische Textilwaren überall auf der Welt beliebt und entsprechend nachgefragt waren.
Mit der Erfindung der automatischen Webstühle waren auch andere Branchen zu einem Wandel gezwungen. Zum Beispiel waren für die Produktion von automatischen Webstühlen Unmengen an Stahl notwendig, was die englische Stahlbranche vor neue Herausforderungen stellte. Nun mussten neue Geräte und Vorgehensweisen entwickelt werden, um der Nachfrage der Textilindustrie nach immer größeren und produktiveren Geräten nachzukommen. Einen weiteren Meilenstein stellt die Dampfmaschine dar.
Innovation durch James Watt
Bisher waren verarbeitende Betriebe auf Naturgewalten angewiesen, da die damaligen Geräte nur mit Windkraft und Wasserkraft angetrieben werden konnten. Die erste Dampfmaschine stammt zwar von Thomas Newcomen, etablieren konnte sie aber erst James Watt, der ebenfalls Engländer war. Ihre Maschinen erlaubten, die Produktion unabhängig von den Naturgewalten auch auf die Nacht auszuweiten, was die Produktion um ein weiteres Stück anschob.
Die Nachfrage, vor allen Dingen in den britischen Kolonien, war zumindest nach wie vor da, weshalb jeder Wirtschaftsimpuls den Engländern gelegen kam. Dampfmaschinen lieferten nicht nur zeitlich uneingeschränkt Energie, sondern auch in größeren Mengen. Dies erlaubte die Fertigung von schweren Stahlfabrikaten, wie Eisenbahnen. Diese wiederum stellten selbst einen Wirtschaftsimpuls dar, da sie den Transport von Gütern schneller und in größeren Mengen ermöglichten.
Verspätete industrielle Revolution in Deutschland
Es vergingen über 100 Jahre, ehe die industrielle Revolution auch Deutschland erreichte. Schuld an den verspäteten Einzug des industriellen Gedankens in Deutschland war aber nicht nur die konservative Einstellung des Adels, im Falle einer Industrialisierung ihr von Untertanen beackertes Land zu verlieren oder zumindest Einbußen hinzunehmen. Vielmehr fehlten den Deutschen auch jene Aspekte, von denen die Engländer profitierten, wie beispielsweise ein weitreichendes Imperium und somit Zugang zu Rohstoffen und Know-how aus fremden Ländern und Kulturen.
Als ab Mitte des 19. Jahrhunderts die herrschende Klasse in Deutschland die Vorteile der Industrialisierung erkannte, begann die industrielle Ära auch in Deutschland. Während es in Großbritannien als Geburtsland der Industrialisierung der automatische Webstuhl war, der den dynamischen Motor der Revolution darstellte, war es in Deutschland die Schwerindustrie, namentlich die Stahl verarbeitende Branche. Nach und nach wurden Zollschranken zwischen den einzelnen Deutschen Ländereien beseitigt, was den überregionalen Handel erst ermöglichte. Dies wiederum bedingte auch den Ausbau der Infrastruktur, was zu einer entsprechenden Nachfrage für die Schwerindustrie führte, die mit dem Bau von Eisenbahnen nach englischem Muster beauftragt wurde.
Deutsche als Raubkopierer
In der Anfangszeit waren die Deutschen das, was früher die Japaner waren und heute mehrheitlich den Chinesen vorgeworfen wird: Raubkopierer. Deutsche Industriespione bereisten England und kamen heimlich in den Besitz englischer Bauanleitungen, die sie in heimischen Unternehmen kopierten. England erkannte verärgert diesen Trend und verabschiedete im Glauben an die Qualität eigener Produkte ein Gesetz, das Händler und Unternehmer, die Waren auf britischem Territorium verkaufen wollten, verpflichtete, nichtenglische Produkte als solche zu kennzeichnen. So entstand auch die Bezeichnung „Made in Germany“.
Was eigentlich als Hindernis für den Vertrieb deutscher Waren gedacht war, entwickelte sich anders, als von den Engländern erhofft. Weil die deutschen Konkurrenzprodukte deutlich besser gefertigt waren als die englischen, griffen englische Käufer bewusst zu deutschen Produkten, was der englischen Wirtschaft einen herben Schlag versetzte. Deutschland bemühte gegen Ende des 19. Jahrhunderts und vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr ausschließlich darum, fremde Produkte zu kopieren und in besserer Qualität zu fertigen, sondern auch eigene Erfindungen auf den Markt zu bringen. Die mittlerweile gewandelte politische Lage Deutschlands erlaubte dies inzwischen.
Bahnbrechende Erfindungen
Als bahnbrechend zählen die Erfindungen der Deutschen Otto Hahn, der 1876 den Viertaktbenzinmotor entwickelte, und Rudolf Diesel, der den selbstzündenden Dieselmotor entwickelte. Beide setzten somit die Grundsäulen für den Aufbau der deutschen Automobilindustrie. Die hohe Nachfrage nach deutschen Produkten führte zum Ausbau der deutschen Industrie, die die Landbevölkerung mit der Aussicht nach einem besseren Leben in die Städte lockte. Somit gilt die deutsche Automobilindustrie als der Aspekt, der die Industrialisierung in Deutschland, das heißt den Umzug der Bevölkerung vom Land in die Städte, erst veranlasste. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges, also im Jahre 1914, lebte mit 60 Prozent erstmals die Mehrheit der Deutschen nicht mehr auf dem Land, sondern in den neu errichteten Städten.