Industrialisierung in Europa
Der Begriff der Industrialisierung beschreibt im Allgemeinen den Übergang von einer Agrargesellschaft zu einer industriellen Produktionsweise von Gütern, sowie den Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen. Für eine Industrialisierung sind verschiedene Faktoren notwendig, zum Beispiel bestimmte Innovationen, aber auch die Bereitschaft, den Schritt von der Agrargesellschaft hin zur Industriegesellschaft zu gehen.
Nach den Theorien zu den Wirtschaftssektoren kann die Industrialisierung als ein Übergang von Schwerpunkt der Gesamtwirtschaft vom primären Sektor, der Rohstoffgewinnung, zum Beispiel durch Landwirtschaft und Bergbau, zum sekundären Sektor (industrielle Produktion) bzw. dem tertiären Sektor (Dienstleistung und Innovation) verstanden werden. Der historische Begriff der Industrialisierung in den westlichen Ländern wird meist als industrielle Revolution bezeichnet. Mit der industriellen Revolution war nicht nur ein radikaler wirtschaftlicher Wandel verbunden, sondern auch großer Veränderungen in der Gesellschaft und des Landschaftsbildes
Großbritannien, das Mutterland der industriellen Revolution
Die Industrialisierung von Europa ging von Großbritannien aus, da dort verschiedene begünstigende Faktoren auf einmal zusammentrafen, die der Industrialisierung eine gewisse Eigendynamik verliehen haben. Von Historikern wird diese Periode meist für Großbritannien in den Zeitraum von 1750-1850 angesiedelt.
Zu den begünstigten Faktoren zählen das Fehlen von Zollgrenzen und -schranken, wie dies beispielsweise im deutschen Bund der Fall war, die Insellage und die damit verbundene günstige Geographie, die einen einfachen, massenhaften Transport mit dem Schiff, sowie der Handel mit den britischen Kolonien ermöglichte und die ergiebigen Rohstoffvorkommen, vor allem Kohle und Eisenerz, welche zum Maschinenbau benötigt wurden.
Großbritannien verfügte über eine im Vergleich produktive Landwirtschaft, die sich hauptsächlich in der Hand von Großgrundbesitzern befand und damit die Möglichkeit, Arbeitskräfte an den sekundären Wirtschaftssektor abzutreten, ohne das es zu Hungerperioden kam.
Soziale Voraussetzungen
Auch die sozialen Voraussetzungen waren in Großbritannien günstig, da das Unternehmertun zu großem Teilen aus Puritanern, Calvinisten und ähnlichen religiösen Strömungen bestand, die Fleiß und Erfolg als eine der höchsten Tugenden ansahen und versuchten ihre Unternehmen oder ihre Fabrik auf größtmöglichem Erfolgskurs zu halten.
Ebenso günstig für die Entwicklung war die lange Friedenszeit, die der Industrialisierung voran ging und das England das Land von wichtigen Innovationen und Entwicklungen war, wovon die wichtigsten die industrielle Spinnmaschine „Spinning Jenny„, sowie die von Thomas Newcomen und James Watt entwickelte Dampfmaschine, welche die Eisenbahn und Großindustrielle Produktion ermöglichte, waren.
Aber auch Dampfschiffe wurden schnell zum primären Fortbewegungsmittel auf dem Wasser, mit welchem der Überseehandel betrieben wurde. Die Industrialisierung veränderte aber auch zeitgleich das Städte- und Landschaftsbild drastisch.
Menschen ziehen vermehrt in die Städte
Durch den massenhaften Zuzug der Menschen vom Land in die Städte, um dort Arbeit zu finden, kam es in den englischen Städten zu Wohnungsnot und Überbelegung von Wohnungen. Die Städte expandierten rasant und das Landschaftsbild wurde zunehmend von Eisenbahnstrecken und Fabriken geprägt. In den Städten kam es zur Einführung von Straßenlaternen, die ursprünglich noch mit Gas, später mit Elektrizität betrieben wurden.
Die Bevölkerung war, aufgrund des Überangebotes von Arbeitskräften, gezwungen zu absoluten Hungerlöhnen zu arbeiten und es kam zu einer Periode der bitteren Armut in weiten Schichten der Bevölkerung, wogegen die Unternehmer immer mehr Geld ansammelten, damit neue Fabriken eröffneten und noch mehr Geld akkumulieren konnten. Dies Phänomen ist bei Historikern als Pauperismus bekannt. Aus dieser Zeit stammen auch die Werke von Karl Marx und anderen Sozialisten, die diese Zustände anklagten und verändern wollten.
Die Ausbreitung auf das Festland von Europa
Von England inspiriert versuchten auch die europäischen Großmächte, wie Frankreich und der deutsche Bund den Schritt von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft zu tätigen. Die Voraussetzungen dafür waren aber auf dem europäischen Festland ungünstiger als auf den britischen Inseln.
Im deutschen Bund beispielsweise herrschte eine mangelnde Einheitlichkeit von Maßen und Gewichten, sowie die Restriktionen des Handels durch Zollschranken innerhalb des Bundesgebietes. Durch die Vereinheitlichung der Maße und die Bestrebungen von Friedrich List, resultierend in der der Gründung des deutschen Zollvereins und der Einführung der bundesweiten Eisenbahn, kam es im deutschen Bund ebenfalls zu einer raschen Industrialisierung.
Günstig war für die deutschen Staaten dabei der Handel mit dem bereits industrialisierten England und die Übernahme der bereits entwickelten Technik, wie der Dampflok und mechanischen Webstühlen. Ihren Beitrag zur industriellen Revolution auf deutschem Gebiet hat auch die gute Verfügbarkeit der für die Industrialisierung wichtigsten Rohstoffe, Kohle und Stahl, geliefert. Erzabbaustätten befanden sich beispielsweise in Elsass-Lothringen und Kohleabbaustätten im Saarland und Ruhrgebiet.
Auch ging die industrielle Revolution auf dem Festland schnell in die Phase der neuen Industriezweige, wie der chemischen- und elektronischen Industrien, sowie dem Maschinenbau über, welche durch die Gründung von technischen Hochschulen weiterer Aufwind gewährleistet wurde.
Reparationszahlungen von Frankreich als positiver Faktor
Positiv für den Investitionsboom in Deutschland war auch der deutsch-französische Krieg, durch welchen Frankreich hohe Reparationszahlungen an das neugegründete deutsche Reich liefern musste. In Frankreich und den anderen Nationen in Europa verlief die Industrialisierung ähnlich und zur gleichen Zeit, wobei sie in den europäischen Großmächten, England, Frankreich, Deutschland und Österreich-Ungarn bei Anbruch des ersten Weltkrieges ähnlich weit fortgeschritten war.
Die rückständigste Großmacht war das russische Zarenreich, da der Zar sich lange Zeit gegen Reformen stellte, bis ihn die Oktoberrevolution 1917 entmachtete und die Bolschewisten die neugegründete Sowjetunion radikal und mit aller Gewalt industrialisierten.
Veränderungen durch die Industrialisierung
Die Industrialisierung hatte Ende des zwanzigsten Jahrhunderts die Welt in zwei Hälften geteilt, in die Industrienationen und sich entwickelnden Staaten Europas, Nordamerikas, Japan und Australien und den Rest der Welt in welchem noch die klassischen Agrargesellschaften dominierend waren. Diese Ungleichheit an Wohlstand, Lebensqualität und Lebenserwartung ist noch bis heute deutlich vorhanden.
Mit der Industrialisierung in Europa entwickelte sich das Bank- und Finanzwesen drastisch weiter, indem Banken Firmen subventionierten und finanzierten und Anteile an Firmen in Form von Aktien verkauft wurden. Die Probleme der Verarmung der Massen und lokal starken Umweltbelastungen durch die Fabriken zu den Zeiten der Industrialisierung wurden mittels der Sozialgesetzgebungen und den Umweltauflagen, sowie modernen Techniken in den europäischen Staaten gelöst und tragen zum hohen Wohlstand und der hohen Lebensqualität in diesen Staaten bei.
Die Zeit nach der Industrialisierung
Nach der Industrialisierung folgte in den europäischen Staaten eine Verschiebung der Anzahl an Beschäftigten in den Wirtschaftssektoren zum tertiären Sektor. Dazu trugen vor allem weiter Fortschritte in der Produktionstechnik ihren Beitrag, als auch das Aufkommen von gänzlich neuen Wirtschaftszweigen, wie der Halbleiterindustrie und der Informatik.
Europa hat heute mit den höchsten Lebensstandard und ist die Heimat der Industriezweige, die hohe Anforderungen an die Prozesstechnik, dass Hintergrundwissen und die Ausbildung der Beschäftigen stellen, wohingegen automatisierte Prozesse, die keine Informationen oder gut ausgebildete Fachkräfte benötigen überwiegend in den Niedriglohnländern Asien, Afrikas und Südamerikas getätigt werden.