Jack the Ripper
Kaum einen Serienmörder der Moderne umgibt ein ähnlicher Nimbus, wie den Londoner Serienkiller, der heute als „Jack the Ripper“ bekannt ist. Unsterblich wurde er jedoch nicht nur durch seine Taten, auch der Fakt, dass seine Identität bist heute nicht geklärt ist, macht ihn zu einem beliebten Objekt verschiedenster Spekulationen und Verschwörungstheorien. Die Lage der Fakten präsentiert sich dabei relativ klar, allgemein wird davon ausgegangen, dass fünf Morde an Prostituierten von „Jack the Ripper“ verübt wurden. Hierbei handelte es sich um leichte Damen aus dem Londoner Armenviertel Whitechapel im East End.
Opfer von Jack
Das erste Opfer war Mary Ann Nichols, die (wahrscheinlich) in der Nacht auf den 31. August 1888 ermordet wurde, ihr Leichnam wurde in den frühen Morgenstunden in der heutigen Durward Street entdeckt. Neben einer tödlichen Verletzung der Kehle war auch ihre Bauchdecke von mehreren Stichen des gleichen Messer aufgeschlitzt. Am 8. September folgte der Mord an Annie Chapman, der neben den Stich- und Schnittverletzungen in Kehle und Bauchdecke auch der Uterus entfernt wurde. Am 30. September folgten schließlich die Morde an Elizabeth Stride und Catherine Eddowes. Hierbei gilt als unklar, ob Elizabeth Stride tatsächlich von „Jack the Ripper“ ermordet wurde. Ihr fehlten die markanten Einschnitte im Bauchbereich, sie verstarb an einem Schnitt in der Halsarterie – es wird allerdings allgemein davon ausgegangen, dass „Jack the Ripper“ lediglich im Laufe der Tat unterbrochen wurde. Kurz nachdem Strides Leiche gefunden wurde, fand man auch den Leichnam von Catherine Eddowes. Ihr Körper trug wieder die Einschnitte im Bereich der Bauchdecke, die nun als das Markenzeichen des Mörders galten. Der Mord an Eddowes präsentierte gleichzeitig eine Eskalation der Gewalt, die auch heute noch für viele Serientäter typisch ist – neben dem Uterus fehlten Eddowes eine Niere und ihr Gesicht wurde auf grauenhafte Art und Weise verstümmelt. Die Morde an Stride und Eddowes lieferten zwar erste Indizien, die heute die Grundlage für diverse Theorien liefern, konnten jedoch der Londoner Polizei keine entscheidenden Hinweise liefern. So gab es verschiedene Zeugenaussagen, die Elizabeth Stride in Begleitung eines Mannes gesehen haben, die Beschreibungen unterschieden sich jedoch zu stark, um daraus ein schlüssiges Bild zu konstruieren.
Ähnlich verhält es sich mit dem „Goulston Street Graffito“, einem Schriftzug, der an einer Wand über der blutigen Schürze von Catherine Eddowes aufgefunden wurde. Unsicher, ob es sich dabei um eine Nachricht des Täters handelte oder ob Umstehende die Botschaft, die jüdische Zuwanderer mit dem Mord in Verbindung brachte, an die Wand geschrieben hatten, ließ die Polizei die Nachricht schnellstmöglich entfernen, um antisemitische Übergriffe zu verhindern. Heute ist nicht einmal der Inhalt der Botschaft eindeutig überliefert, da die Polizisten verschiedene Versionen darüber zu Protokoll gaben. Der letzte und brutalste Mord, der den „Kanon“ ausmacht, wurde am 9. November 1888 begangen. Das Opfer war Mary Jane Kelly. Ihr Körper wurde in ihrem Zimmer in Miller’s Court aufgefunden – das Gesicht von den vielen Schnitten unkenntlich gemacht, die Kehle bis zur Halswirbelsäule aufgeschlitzt und sämtliche Organe wurden dem Bauch entnommen, sogar ihr Herz wurde entfernt.
Identität wurde nie geklärt
Obwohl die London Metropolitan Police bis zum Jahre 1891 insgesamt elf verschiedene Morde mit „Jack the Ripper“ in Verbindung brachte, wird doch allgemein davon ausgegangen, dass lediglich die fünf Morde an den Prostituierten in Whitechapel von einer Person begangen wurden. Diese Morde wurden alle um die Wochenenden herum nachts begangen und Gewalttaten gegen Frauen, insbesondere Prostituierte, waren in den rauen Verhältnissen des industrialisierten Londons keine Seltenheit. Sir Melville Macnaghten, einer der Polizei-Offiziere, welche die Untersuchungen leiteten, ist einer der Begründer der Fünf-Morde-Theorie, es gibt jedoch noch andere Thesen, die mehr oder weniger (insbesondere die Morde an Stride und Kelly sind hier streitbar) Morde mit dem Aufschlitzer von Whitechapel in Verbindung brachten. Trotz der für damalige Verhältnisse intensiven Untersuchungen konnte jedoch nie ein Täter gefasst werden und bis heute ist nicht eindeutig geklärt, wer die Morde verübt hatte.
Jack the Ripper als Bild seiner Zeit
Die Hintergründe für verschiedene Geschichten und Theorien um „Jack the Ripper“ basieren dabei größtenteils auf den veränderten Lebensumständen des 19. Jahrhunderts. Die Einwanderung war zu einem der größten Bevölkerungsfaktoren der neuen Metropolen Europas geworden. Insbesondere London zur Zeit der Industrialisierung war ein beliebtes Ziel für Immigranten. Die größten Ströme kamen dabei aus Irland und Russland, auch jüdische Flüchtlinge aus Osteuropa suchten Herberge in der englischen Hauptstadt. Armenviertel wie Whitechapel waren bald an den Grenzen ihrer Kapazität angelangt und die Armut verbreitete sich immer schneller unter Zuwanderern und Einheimischen gleichermaßen. Es wird davon ausgegangen, dass zur Zeit der Jack-the-Ripper-Morde rund 1200 Prostituierte in Whitechapel arbeiteten. Die Armut sorgte immer weiter für soziale Unruhen, insbesondere Immigranten wurden zum Objekt des Hasses.
Rassismus und Antisemitismus wurden zu Volksbewegungen, zwischen 1886 und 1889 musste die Londoner Polizei mehrfach einschreiten, um Massenunruhen nieder zu schlagen. Armut, Krankheit, soziale Missstände und eskalierende Gewalt fanden in den Whitechapel-Morden ihren vorläufigen Höhepunkt. Was jedoch einen Präzedenzfall in der Geschichte darstellte, war die umfassende Berichterstattung der Londoner Zeitungen. Nicht zuletzt durch seine Bekanntheit in der Bevölkerung wurde „Jack the Ripper“ zum ersten Serienmörder und zum Inbegriff dieses Terminus.
Spuren, Nachforschungen, Briefe
Thomas Bond, ein Chirurg, der im Auftrag der Polizei arbeitete, wurde von der Polizei mit einer genaueren Analyse der Morde beauftragt, in der Hoffnung, ein Profil des Täters anfertigen zu können. Diese heute als Profiling bekannte und immer noch angewandte Methode fand in den Untersuchungen von Thomas Bond seinen Ursprung. Er galt ebenfalls als Vertreter der Theorie, dass fünf Morde von „Jack the Ripper“ begangen wurden, den er als Einzelgänger mit erotischen Manien interpretierte. Chirurgisches Wissen sprach er der Messerführung des Mörders ab, selbst anatomische Grundkenntnisse, die ein Fleischer oder Schlachter besitzen müsse, wären nicht erkennbar gewesen. Die sexuelle Störung des Täters gilt auch heute noch als weitgehend anerkannte These, da die Penetration mit dem Messer als Ersatzhandlung gilt – Beweise für sexuelle Handlungen mit den Opfern gibt es bei keinem Morde.
Trotz der Analyse von Thomas Bond galten Fleischer, Schlachter und Ärzte gleichermaßen als Verdächtige und wurden massenhaft verhört. Die Nachforschungen wurden schließlich auf anlegende Schiffe (das Londoner East End liegt nahe der Docks) ausgeweitet, viele Viehtransporte hatten ihr eigenes Schlachtpersonal – keine der Spuren konnte jedoch nähere Hinweise liefern. Aufgrund der Morde an den Wochenenden und der räumlichen Nähe der Tatorte wurde und wird jedoch davon ausgegangen, dass „Jack the Ripper“ unter der Woche in Whitechapel arbeitete. Verdächtigungen gegen Ärzte und Aristokraten gelten heute vornehmlich als Bild der Zeit und ihres Misstrauens gegen Medizin, Wissenschaft und die herrschende Klasse. Noch weniger Beweiskraft geht von den Briefen aus, die verschiedene Zeitungen und Polizeibehörden erhalten hatten. Mehrere hundert Briefe waren mit Hinweisen gefüllt, während viele andere Schreiben mutmaßlich vom Mörder persönlich stammten. Beweise, dass „Jack the Ripper“ tatsächlich einen dieser Briefe verfasst hat, gibt es nicht. Der berühmteste dieser Briefe dürfte das „From Hell“-Schreiben sein, das im Oktober 1888 mit einem Stück menschlicher Niere an das Komitee zur Überwachung Whitechapels geschickt wurde. Ein als „Dear Boss“ bekannter Brief versprach, den nächsten Opfern die Ohren abzuschneiden – was im Falle von Eddowes zwar geschah, die Drohung, die Ohren an die Polizei zu schicken, wurde jedoch nie wahr gemacht. Berühmt wurde der Brief vor allem wegen seiner Signatur, die in der Folge um die Welt gehen würde: Yours truly. Jack the Ripper