Kaspar Hauser
Die Frage, wer Kaspar Hauser wirklich war, beschäftigt die Historiker bis zum heutigen Tag. Angeblich wurde er am 30. April 1820 geboren und verbrachte die folgenden Jahre nach eigener Aussage isoliert in einem dunklen Versteck. Um seine wahre Herkunft ranken sich viele Spekulationen, wie auch um seinen ungeklärten Tod am 17. Dezember 1833 in Ansbach. Die immer wieder aufgegriffene „Prinzentheorie“ besagt, Kaspar Hauser sei der nach seiner Geburt vertauschte Erbprinz von Baden. Dieser hätte angeblich beseitigt werden sollen, um einer Nebenlinie des Hauses die Nachfolge zu ermöglichen. Diese Theorie konnte aber niemals bewiesen werden und wird heute von vielen Fachleuten abgelehnt.
Erstes Auftreten in Nürnberg
Am 26. Mai 1828 in Nürnberg wurde der Schuhmachermeister Weikmann auf einen unbekannten Jugendlichen im Alter von geschätzten 16 Jahren aufmerksam. Allem Anschein nach verfügte der Junge über einen allenfalls begrenzten Wortschatz und machte sich daher nur bruchstückhaft verständlich, gab jedoch an, aus Regensburg zu kommen. Der Fremde trug einen Brief bei sich, der an den Rittmeister der 4. Eskadron des 6. Chevauxlegers-Regiments gerichtet war. Weikmann brachte ihn daher zur Wohnung des Rittmeisters namens Friedrich von Wessenig. Der Brief stammte von einem anonymen Verfasser, nach eigenen Angaben ein Tagelöhner, der behauptete im Oktober 1812 den Jungen als Säugling vorgefunden und aufgezogen zu haben. Er habe ihm Lesen und Schreiben sowie das Christentum beigebracht, ihn aber nicht vor die Tür gelassen. Nun jedoch wolle der Junge ein Reiter werden. Dies wurde von dem Unbekannten mit knappen Worten bestätigt: Er wolle ein Reiter werden, wie sein Vater gewesen sei. Dem Brief war ein weiteres Schreiben beigelegt, welches unter Historikern später unter dem Begriff „Mägdleinzettel“ bekannt wurde. Dieses Schreiben stammte angeblich von der Mutter des Jungen, die seinen Namen mit „Kasper“ und als sein Geburtsdatum den 30. April 1812 angab. Der Kindsvater, inzwischen verstorben, sei ein Reiter des 6. Regiments gewesen.
Die Authentizität dieser Schreiben wird aufgrund einer Handschriftenanalyse jedoch angezweifelt, da beide von der selben Person zu stammen scheinen, mutmaßlich von „Kasper“ selbst. Später auf der Polizeiwache schrieb der Junge „Kaspar Hauser“ als seinen Namen auf. Kaspar Hauser behauptete in späteren Gesprächen, die vergangenen Jahre in einem beinahe lichtlosen Raum gefangen gehalten worden zu sein, in halb liegender Stellung und ohne Kontakt zur Außenwelt. Wasser und Brot habe man ihm gebracht, während er geschlafen habe, und auch um seine Körperpflege habe man sich während seines Schlafes gekümmert. Irgendwann habe ein unbekannter Mann ihn aus seinem Kerker geführt, ihm Lesen und Schreiben beigebracht und ihn in die Gegend von Nürnberg gebracht – wobei er ihm auf dem Weg dahin auch das Laufen erst wieder habe beibringen müssen.
Öffentliches Interesse und Erziehung
Die Umstände seines Erscheinens in Nürnberg sowie seine außergewöhnliche Geschichte machten Kaspar Hauser im Sinne einer Kuriosiät schnell zu einer regelrechten Attraktion in der Nürnberger Gesellschaft. Nach einem vorübergehenden Aufenthalt im Gefängnis wurde er nacheinander in die Obhut mehrerer Lehrer bzw. Betreuer gegeben. So unterrichtete ihn der Gymnasiallehrer Georg Friedrich Daumer in unterschiedlichen Schulfächern, wobei sich zeigte, dass Kaspar Hauser über ein bemerkenswertes handwerkliches und zeichnerisches Talent verfügte. Eine Zeitlang verbrachte Hauser bei der Familie des Magistratsrates Biberach, danach bei seinem Vormund Gottlieb von Tucher. Nachdem der englische Adlige Lord Stanhope (Philip Henry Earl Stanhope) ein besonders Interesse an Kaspar Hauser entwickelt hatte, übernahm er im Dezember 1831 dessen Pflegschaft und brachte ihn nach Ansbach, wo Hauser auf Vorschlag des Gerichtspräsidenten Anselm von Feuerbach im Haus des Lehrers Johann Georg Meyer wohnte. Lord Stanhope versuchte unter erheblichem Aufwand, die Geschichte Kaspar Hausers zu klären und schien seinem Schützling aufrichtige Zuneigung entgegenzubringen. So unternahm er – allerdings erfolglos – zwei Reisen nach Ungarn mit Hauser, da dieser auf die Laute der ungarischen Sprache positiv zu reagieren schien.
War Stanhope ohne Hauser auf Reisen, kümmerten sich von Feuerbach sowie der Gendarmerieunterleutnant Josef Hickel um das geistige und körperliche Wohl Hausers. Kaspar Hauser erhielt in Ansbach Zutritt zur besten Gesellschaft, und von Feuerbach besorgte ihm 1832 eine Stellung als Schreiber und Kopist bei Gericht. Lord Stanhope hatte im Januar 1832 Ansbach verlassen und sah Kaspar Hauser niemals wieder. Zwar kam er nach wie vor für dessen Unterhalt auf, hatte aber offenbar das Vertrauen in die Wahrheit von Hausers Gefangenschaftsgeschichte verloren. Im Mai 1833 wurde Hauser in der Ansbacher Gumbertuskirche komfirmiert. Kurz darauf wurde er seines Gönners Anselm von Feuerbach beraubt, denn dieser starb am 29. Mai 1833, nur wenige Tage nach der Konfirmation.
Attentate oder Selbstverletzungen?
Sowohl während des Aufenthaltes in Nürnberg als auch in Ansbach erlitt Kaspar Hauser eine Reihe von Verletzungen. Während er in einem Fall von einem Unfall sprach, erweckte sein Bericht von einem Vorfall in Nürnberg den Eindruck, dass ihm Unbekannte nach dem Leben trachteten, was den Spekulationen über Hausers adlige Abstammung (Prinzentheorie) wieder neue Nahrung gab. Polizeiliche Untersuchungen über das angebliche Attentat verliefen jedoch ergebnislos. Inzwischen kamen immer wieder Zweifel über den Wahrheitsgehalt Hausers diverser Behauptungen auf. Diese gründeten sich nicht zuletzt auf verschiedene Ungereimtheiten seiner Kerkergeschichte. Lord Stanhope stellte später eine Sammlung mit Belastungsmaterial gegen Hauser zusammen und erklärte, einem Betrüger aufgesessen zu sein. Es wurde bzw. wird von mancher Seite angenommen, dass es sich bei den Vorfällen um absichtliche Selbstverletzungen Kaspar Hausers handeln könnte. Diese habe er sich zugefügt, um das zwischenzeitlich nachlassende öffentliche Interesse an seiner Person wieder anzufachen.
Ungeklärte Todesumstände
Am 17. Dezember 1833 starb Kaspar Hauser an den Folgen einer Stichverletzung, die er drei Tage vorher, nach eigener Angabe im Ansbacher Hofgarten, erlitten hatte. Hauser erklärte vor seinem Tod, dort Opfer eines bärtigen Mannes geworden zu sein, der ihn angesprochen, ihm einen Beutel übergeben und dann niedergestochen habe. Tatsächlich fand sich im Hofgarten ein lilafarbener Damenbeutel mit einer in Spiegelschrift verfassten Nachricht: „Hauser wird es euch ganz genau erzählen können, wie ich aussehe, und wo her ich bin. Den Hauser die Mühe zu ersparen will ich es euch selber sagen, woher ich komme _ _ Ich komme von von _ _ _ der Baierischen Gränze _ _ Am Fluße _ _ _ _ _ Ich will euch sogar noch den Namen sagen: M. L. Ö.“ (zitiert nach Walther Schreibmüller: Bilanz einer 150jährigen Kaspar Hauser-Forschung, in: Genealogisches Jahrbuch 31, 1991).
Auch in diesem Fall verliefen die polizeilichen Untersuchungen ohne eindeutiges Ergebnis. Ein Täter wurde nie gefunden. Die gerichtsmedizinische Untersuchung konnte nicht zweifelsfrei feststellen, ob die Stichwunde durch Fremdeinwirkung oder durch Selbstverletzung zugefügt worden war. In einer Abschlusserklärung vom September 1834 des Kreis- und Stadtgerichts Anbach hieß es, dass man sich „des begründeten Zweifels nicht erwehren [könne], ob ein Mord von fremder Hand an Hauser verübt, ob überhaupt ein Verbrechen an ihm begangen wurde“ (zitiert nach Ivo Striedinger: Neues Schrifttum über Kaspar Hauser, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, 6. Jg. 1933). Die Anhänger der Selbstverletzungs-Theorie gehen davon aus, dass Hauser wie zuvor ein Attentat hatte vortäuschen wollen und seinen Tod nicht beabsichtigt hatte, dieser also gewissermaßen ein Unfall gewesen sein könne. Am 20. Dezember 1833 wurde der Leichnam Kaspar Hausers auf dem Ansbacher Stadtfriedhof beigesetzt. Die Hintergründe seines Todes sowie seiner Herkunft sind bis heute ungeklärt.